02 Winter am Ende der Welt
links, man hat einen klasse Blick auf die Boote und Quadra Island und die schneebedeckten Berge hinten auf dem Festland. Im Sommer muss es hier richtig schön sein. Jetzt ist es hauptsächlich kalt. Ich sehe raus aufs Meer. Ich friere. Carl legt mir seinen Arm um die Schultern und drückt mich an sich. Ich lehne mich eng an ihn an, meine Schulter passt genau in seine Achselhöhle und ich fühle mich sehr aufgehoben. Ganz langsam wird mir ein bisschen wärmer. Ich sehe zu ihm hoch und er sieht mich an und ich weiß, jetzt wird er mich gleich küssen. Aber zunächst küsst er mich sanft auf die Schläfe, genau an der Stelle, wo die Mütze aufhört und die Haut freiliegt.
„Wir bleiben hier jetzt solange stehen, bis wir Delfine sehen“, sagt April und sieht entschlossen in die Ferne.
IX
Die Rückfahrt kommt schneller als erwartet, nämlich noch am gleichen Tag, weil der Jeep vor dem Inn steht, als wir vom Pier zurückkommen. Der Abschleppwagen hat ihn vor dem Inn abgestellt und wider Erwarten ist der Jeep sogar in Ordnung, er hat den Rutsch in den Graben ohne Schäden überstanden. Wie wir ja auch. Nur den Aufenthalt in der Stadt, den haben wir nicht so gut überstanden. Die Rückfahrt verläuft äußerst schweigend. Jeff fährt, Carl sitzt vorne, April und ich sitzen auf der Rückbank. Wir haben alle unsere Einkäufe gemacht. Wir sind erschöpft, geschafft und enttäuscht. Valentinstag ist doppelt vorbei und niemand von uns hat wirklich was davon gehabt, um es mal so zu sagen.
Auf der Rückfahrt hänge ich meinen Gedanken nach, während wir durch eine immer noch weiße Landschaft fahren. Vorbei am Campbell Lake und am Upper Campbell Lake, vorbei an der Lodge, wo Jeff und Carl Hilfe geholt haben. Wir halten kurz am Rastplatz vom Strathcona Park, wo der große Elch aus Holz steht und wir alle pinkeln gehen, weil hier Klohäuschen in der Wildnis stehen, und das macht das Pinkeln einfacher, jedenfalls für die Frauen. Dann geht es schweigend weiter.
Nach einer Weile schiebt Jeff eine CD in den Player und Patsy Cline bricht das Schweigen mit alten Country-Songs. Weiß nicht, ob das jetzt besser ist. Doch, vielleicht. Doch ist besser. Patsy Cline singt He is walking away ... tja, das ist jetzt hier nicht möglich, für keinen von uns, wir sitzen hier zusammen, nicht im gleichen Boot, aber im gleichen Jeep und das noch für eine ganze Weile. Zum Glück ist der Highway geräumt und wir kommen wenigstens gut voran.
Und das war unser restlicher Tag in Campbell River:
April und Jeff haben den ganzen Tag nicht mehr miteinander geredet. Carl und ich waren vorsichtig miteinander. Wir waren nie alleine, weil wir den ganzen Tag zu viert durch die Gegend gezogen sind wegen April und Jeff, die kein Interesse daran hatten, miteinander alleine zu sein und dass jeder einfach alleine seine Einkäufe macht, das hat sich irgendwie auch nicht ergeben.
Und so kaufen wir alle gleichzeitig erst bei Thrifty Foods und dann bei Superstore ein. Gehen gemeinsam zu Canadian Tire, weil man ja immer irgendwelche Kleinigkeiten fürs Haus oder fürs Auto braucht, eine neue Fußmatte, Nägel, Schrauben, Wischerflüssigkeit oder Öl. Dann alle zu Staples. Jeff braucht Tinte für seinen Drucker, April kauft einen Stapel Lineale für ein neues Projekt mit den Kids in der Schule, und ich kaufe mir ein hübsches Journal und einen Satz schwarze Stifte und vielleicht, wenn ich da meine Gedanken aufschreibe, Tag für Tag für Tag, stoße ich doch noch auf einen Beruf, der zu mir passt und mich ernährt. Dann wird getankt und es geht ab nach Hause.
Wir teilen den Sprit, ohne dass Jeff was sagen muss. Wir teilen durch drei, denn Jeff hat ja schon das Auto, das wir hier alle gemeinsam abnutzen. Jeff nimmt das Geld ohne die Miene zu verziehen oder sich zu bedanken. Er und April reden immer noch nicht miteinander.
Um Mitternacht stehe ich völlig erledigt und von oben bis unten mit Plastiktüten beladen wieder vor meinem blauen Flusshaus.
Und Delfine haben wir übrigens auch nicht gesehen.
Am Ende von The Road dann doch ein kleiner Lichtblick – als Carl aussteigt, als erster, weil seine Farm ja vor dem Dorf liegt, und sich von uns verabschiedet, flüstert er mir schnell noch was ins Ohr. Und ich spiele den Satz immer wieder in meinem Kopf ab (Modell LP mit Sprung, genauso out wie die Schreibmaschine in Annas Link, übrigens). Ich spiele den Satz ab, es ist immer wieder der gleiche Satz. Ich versuche, da nicht zu viel rein zu interpretieren und kann
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