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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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sie zurückhalten, aber ich vermochte mich nicht zu rühren.
    Langsam, wie im Traum, schritt sie auf die sitzende Frau zu.
    Als sie in ihre Nähe kam, tropfte das Blut auch auf sie – auf das Haar, das schwarze Kleid …
    Wie war das möglich? Das war keine Illusion mehr! Ich sah das Blut ganz deutlich. Die Schreie wurden schwächer, kraftloser.
    In diesem Augenblick berührte Ornella die Erscheinung. Sie zuckte zusammen wie unter einem elektrischen Schock und wachte auf aus ihrem tranceartigen Zustand. Gleichzeitig erstarben die wimmernden Laute. Die Frau begann sich aufzulösen in formlosen weißen Rauch. Das Lachen erklang wieder und mischte sich mit einem Schrei Ornellas.
    Der Bann wich von mir. Ich konnte mich wieder bewegen.
    »Ornella!« rief ich angstvoll und sprang auf sie zu, um ihre fallende Gestalt aufzufangen. Als ich sie im Arm hielt, erkannte ich, warum sie geschrieen hatte: Das Blut an ihrem Kleid war nicht verschwunden. Es war echt!
    Das Mädchen hing schlaff in meinen Armen. Sie schien das Bewusstsein verloren zu haben. Hastig schob ich mit den Füßen zwei Stühle zusammen. Ein paar der Anwesenden hatten erkannt, was ich beabsichtigte, und halfen mir. Ich legte die Bewusstlose auf die zusammen geschobenen Stühle.
    Es gab kaum einen, der noch saß. Sie sprachen aufgeregt durcheinander. Das Erlebnis schien sie soweit aus der Anonymität geweckt zu haben. Dann sah ich, dass sich mehrere über Madame Ferenczek gebeugt hatten und sie ebenfalls auf mehrere Stühle legten. Sie war wohl aus ihrer Trance aufgewacht, das sah man an den entspannten Zügen, aber sie schien ohne Bewusstsein. Auch war sie ungewöhnlich bleich.
    »Wir brauchen einen Arzt«, sagte jemand.
    »Verflixt«, meinte ein anderer. »Das hat mir noch gefehlt.
    Mich darf hier niemand sehen.«
    »Nicht nur Sie«, bekräftigte eine Frau leicht nervös.
    Ich nahm meine Maske ab. »Hören Sie mir zu!« verkündete ich laut. »Ich verstehe, dass Ihre Zusammenkünfte hier mehr oder weniger geheimer Natur sind, und dass mancher von Ihnen diese Sache vor der Öffentlichkeit verbergen muss. Es ist zwar keine strafbare Handlung, aber auch keine, die sich für viele mit einem guten Ruf vereinbaren lässt.« Ich lächelte. »Wenn sie mir also helfen, die beiden Damen nach oben ins Wohnzimmer zu transportieren, und wenn mir jemand einen Arzt ruft – ich bin leider fremd hier – dann denke ich, dass ich allein zurechtkomme, und Sie können gehen, bevor der Arzt eintrifft.«
    Es gab nur ein kurzes Zögern, dann hatten es beinahe alle sehr eilig wegzukommen. Man half mir noch, die beiden Damen hoch zu tragen und bequem auf Bett und Couch zu legen. Beide umfing eine tiefe Ohnmacht. Jemand rief auch einen Arzt. Schließlich befand ich mich mit einem noch immer Unschlüssigen allein. Er nahm umständlich seine Maske ab.
    »Ich bleibe, wenn Sie mich brauchen«, sagte er.
    Er war Mitte Vierzig, mit strengem, verschlossenem Gesicht und leicht angegrauten Schläfen.
    Ich betrachtete ihn aufmerksam, und mir war klar, dass er nicht ganz freiwillig hier blieb. Irgendetwas bedrückte ihn.
    »Ich weiß Ihr Opfer zu schätzen«, meinte ich, »aber ich weiß nicht, ob es notwendig ist.«
    »Doch, doch. Sie sagten, Sie wären fremd hier. Wenn der Arzt Fragen stellt, ist es besser, wenn Sie jemanden an der Seite haben, der mit den hiesigen Verhältnissen vertraut ist.«
    »Das ist doch nicht der einzige Grund, nicht wahr?«
    Er zögerte einen Augenblick. »Nein«, gestand er dann. »Ich habe das Mädchen mitgebracht. Ich bedaure zwar, dass mein Sohn sich mit ihr liiert hat, und ich werde weiterhin versuchen, das zu unterbinden, aber ich fühle mich dennoch verantwortlich für sie.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Sie müssen verstehen«, fuhr er rasch fort, offensichtlich der Wirkung seiner Worte selbst nicht sicher, »unsere Familie ist seit Generationen auf eine – äh – anspruchsvolle Erbfolge bedacht. Sie ist Ungarin, und Hinweise auf ihre Herkunft sind spärlich und zweifelhaft.«
    Es läutete. Das musste der Arzt sein.
    »Letzte Gelegenheit zu gehen«, meinte ich. »Sie könnten sich auch im Nebenzimmer verbergen.«
    Er nickte unentschlossen. Doch dann schüttelte er den Kopf.
    »Nein, ich kann das Mädchen nicht einfach hier lassen. Was soll sie denken …?«
    Himmel! dachte ich. Was muss sie sich denn überhaupt bereits denken?
    »Ich werde mich um sie kümmern«, erklärte ich, während es erneut läutete. »Machen Sie rasch.« Ich schob ihn ins Nebenzimmer und

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