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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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das Blut. An ihr materialisierte es sich, aber ich habe mir den Boden bei Licht nochmals genau angesehen. Nirgends eine Spur von Blutstropfen. Es ist fast, als wäre das Mädchen zu diesem Zeitpunkt auch nicht real gewesen – einen Augenblick lang wenigstens.«
    Madame schüttelte den Kopf. »Nein, nur der Kontakt mit der Erscheinung ist dafür verantwortlich. Das Ektoplasma wird durch die Berührung mit dem Lebenden entfremdet, das heißt, es kehrt nicht mehr in den spendenden Körper des Mediums zurück.«
    »Sie meinen …«
    »Eine Kollegin von mir, sie ist inzwischen gestorben, verlor einige Kilo ihres Körpers auf diese Art. Bei einer Seance materialisierte sich der verschwundene Hund einer teilnehmenden Dame, die so erfreut darüber war, dass sie nicht mehr an sich halten konnte, auf den Hund zustürzte und ihn in die Arme riss. Der Hund blieb einige Wochen am Leben.
    Meine Kollegin kam nur mit knapper Not davon. Sie hatte das Gewicht des Hundes an Körpersubstanz verloren.«
    Ich lächelte ein wenig ungläubig. »Das ist genau die Art von Schauermärchen«, bemerkte ich, »die der Volksmund über Seancen verbreitet.«
    »Keine Schauermärchen«, sagte sie entschieden, ihr blasses Gesicht war ernst. »Ich sah es mit eigenen Augen. Es ist auch der Grund, warum ich nur sehr ungern Fremde bei meinen Seancen habe. Auf meine Freunde kann ich mich verlassen.
    Aber bei Unbekannten weiß man nie, was sie tun – wenn sie erregt oder erschreckt sind …«
    Ich schauderte. »Wenn Ornella durch das Blut nicht aufgewacht wäre und hätte diese Frau in Weiß berührt …« Ich ließ die Schlussfolgerung in der Luft hängen.
    »Dann wäre wohl nicht viel von mir übrig geblieben.«
    Ein Geräusch ließ mich aufblicken. Ornella stand bleich in der Badezimmertür, notdürftig in ein Handtuch gewickelt. »Oh, Madame«, flüsterte sie, »dann hätte ich Sie umgebracht?«
    »Sie konnten nichts dafür«, beschwichtigte ich. »Sie waren offenbar ebenso in Trance wie Madame. Irgend etwas hatte Gewalt über Sie.«
    Sie starrte mich mit großen Augen an. »Was?« flüsterte sie.
    »Diese Frau – die Blutgräfin«, erläuterte ich. Irgendetwas trieb mich dann zum Fenster, ein Gefühl, eine Ahnung?
    Ich schob den Vorhang weiter auseinander und blickte hinüber zu diesem gespenstischen Haus. Hinter einer der vielen schwarzen Fensteröffnungen lauerte ein Gesicht, das einer steinalten Frau mit wirrem, eisgrauem Haar und tiefliegenden, auf eine grausame Art hungrigen Augen, die unverwandt herüberstarrten. Ein Schauder überlief mich.
    Das Gesicht verschwand wie ein Spuk.
    Als ich mich umwandte, sah ich, dass Ornella dicht hinter mir stand. An ihrer Miene erkannte ich, dass sie es auch gesehen hatte.
    »Ist das alte Haus gegenüber bewohnt?« fragte ich Madame.
    »Nein, Herr Clement.«
    »Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen. Eine alte Frau …«
    »Das ist seltsam«, meinte sie. »Gerade die Alten meiden das Haus, weil der Aberglaube tiefer in ihnen verwurzelt ist.«
    »Welcher Aberglaube?« fragte ich.
    »Es heißt, dass Darvulia in den alten Mauern haust.«
    »Darvulia? Wer ist das?«
    »Eine Hexe, die die eigentliche treibende Kraft hinter der Gräfin war. Es heißt, dass sie eines Tages aus dem Wald auftauchte, ein altes, herzloses, grausames Ungeheuer, wahrhaftig eine Hexe, und dass sie Erzsebéth zu immer neuen Grausamkeiten anstachelte. Eines Tages verschwand sie spurlos, und manche glauben, dass sie nicht starb, sondern dass sie seither in diesem verfluchten Haus wohnt, irgendwo in den unergründlichen Räumlichkeiten, in denen seit Jahrhunderten die Zeit stillsteht.«
    Ornellas Finger verkrampften sich an meinem Arm. Sie waren eiskalt.
    Ornella schien heilfroh zu sein, als wir endlich das Haus der alten Dame verließen. Ihre Spottlust jedenfalls war restlos verschwunden. Die Vorgänge hatten sie mehr beeindruckt als mich. Das Ganze erschien mir nun immer unglaubwürdiger, vor allem Frau Ferenczeks Kommentare hierzu. Die Sache mit dem Blut allerdings beeindruckte mich. Es war kein Trick, das fühlte ich auf eine seltsame Art. Es erinnerte mich an die Atmosphäre im Bannkreis jener unheimlichen, unerklärlichen Geschehnisse, die in Friedel Carhauns Gegenwart passierten.
    So ein Empfinden, als ob die Realität den Atem anhielte.
    Anders kann ich es nicht beschreiben.
    Und warum gerade Ornella? Warum hatte diese Erscheinung gerade sie auserkoren unter all den Anwesenden? Vielleicht, weil sie am leichtesten zu beeinflussen war?

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