020 - Die Blutgraefin
nickte. »Komm rein, ich bin gleich fertig.« Sie führte mich in ihr Zimmer. »Trinkst du eine Tasse Kaffee mit?«
»Gern.«
»Ich muss heute Nacht wieder aufgestanden sein«, erzählte sie, während sie sich frisierte. »Und aus irgendeinem verrückten Grund habe ich mir das Haar gewaschen. Ich glaube, es ist der Gedanke an das Blut – die Vorstellung macht mich ganz krank vor Ekel.«
Aber ich wirkte jedenfalls entspannend auf sie, denn sie vergaß bald ihre düsteren Gedanken. Ich erklärte ihr, dass ich noch die Universitätsbibliothek aufsuchen wollte, bevor wir aus der Stadt fuhren.
Sie zog ein gelbes Kleid an, in dem sie aufregend hübsch aussah. Sie schien eine Vorliebe für Gelb zu haben, die ich zu teilen begann, je öfter ich sie damit sah.
Es waren nur ein paar Schritte von ihrer Wohnung zur Universität, die gingen wir Hand in Hand.
»Was suchst du eigentlich in der Bibliothek?« fragte sie, als wir die Stufen zum Eingang hinaufstiegen.
»Unterlagen über Erzsebéth Bathory«, erklärte ich.
»Diese Gräfin, nicht wahr? Es spukt dir noch immer im Kopf herum. Ich weiß nicht, ob du viel finden wirst.«
»Warum?«
»Weil das meiste Material darüber sicher in ungarischer Sprache verfasst ist.«
Ich fand auch nicht viel. In ein paar mehr oder weniger okkulten Büchern gab es kurze Hinweise, die einander zum Teil widersprachen, soweit es die sexuellen Motivationen der
›Marquise de Sade‹, wie sie auch bezeichnet wurde, betraf.
Ornella, die sich auch immer mehr dafür zu interessieren begann, schlug vor, die Nationalbibliothek aufzusuchen. Das war kein schlechter Vorschlag. Um mir möglicherweise einen unnützen Weg zu ersparen, rief ich erst einmal an, ob überhaupt Material über die Blutgräfin vorhanden sei. Es dauerte eine Weile, bis das freundliche Fräulein am Apparat nachgesehen hatte. Schließlich erklärte sie, ja, sie hätten Material dort, aber es handle sich dabei in der Hauptsache um nicht ausleihbare Zeitschriften, die ich an Ort und Stelle studieren müsste. Ich bedankte mich für die Auskunft, und wir beschlossen, am nächsten Vormittag gemeinsam hinzugehen.
Dann nahmen wir die Schnellbahn nach Korneuburg und verlebten einen wundervollen Nachmittag zusammen, unbeschwert, frei von allen Ängsten, die die Seele so sehr verdüstern können.
Wir sprachen auch über unsere Situation, und ich begann, von meiner beabsichtigten Budapestreise zu reden. Aber sie hatte Angst. Sie wollte nicht nach Ungarn. Sie fürchtete Schwierigkeiten wegen der Flucht ihrer Mutter 1956. Der Name Rehmer, der ihres Vaters, der kein Ungar gewesen war, mochte bei den Behörden auch jetzt noch, mehr als ein Jahrzehnt später, einen interessanten Klang haben. Nein, dieses Risiko wollte sie nicht auf sich nehmen. Sie würde hier auf mich warten. Sie wollte mit mir nach München gehen, wenn ich das wünschte, aber nicht nach Osten.
Daran ließ sich nicht rütteln, und ich verstand sie gut genug.
In Gedanken begann ich bereits meine Ungarnfahrt zu streichen.
Wir kamen spät nach Wien zurück. Es war kurz vor Mitternacht, und eine Nervosität bemächtigte sich ihrer, die sie mir nicht erklären konnte oder wollte. Sie hatte es plötzlich eilig, nach Hause zu kommen. So brachte ich sie auf schnellstem Wege dahin. Wir machten aus, uns am nächsten Vormittag um zehn vor der Nationalbibliothek zu treffen.
Das Telefon schrillte und riss mich aus tiefem Schlaf.
Halbbetäubt nahm ich den Hörer ab.
»Tut mir leid, Herr Clement, dass wir Sie um diese Zeit wecken«, sagte die Stimme des Nachtportiers entschuldigend.
»Da ist eine Dame, die Sie unter allen Umständen sprechen will. Ich verbinde.«
Ich war sofort hellwach.
Gleich darauf schrillte Madame Ferenczeks Stimme aufgeregt in meinem Ohr.
»Herr Clement …? Sind Sie wach? Wach genug …?«
»Ja«, antwortete ich müde. »Reden Sie nur.«
»Hören Sie …!« rief sie aufgeregt.
Ich lauschte angestrengt.
»Hören Sie es?«
Ja, ich hörte es – ganz schwach. Schreie.
Eine weibliche Stimme schrie sich die Seele aus dem Leib wie in unerträglicher Pein.
»Wieder …« flüsterte ich.
»Ja«, sagte Madame. Ihre Stimme klang fern, verloren, beinahe unwirklich neben den Schreien.
»Ich komme!« rief ich und legte auf. Ich sprang aus dem Bett und war in Rekordzeit angezogen. Bevor ich aus meinem Zimmer stürzte, warf ich einen Blick auf die Uhr – ein Uhr vorbei. Ich hatte kaum eine Stunde geschlafen.
Es dauerte eine Weile, bis das Taxi kam,
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