020 - Die Blutgraefin
an.
»Im Keller«, sagte sie, »gibt es einen Durchbruch in einen schmalen Gang, der nichts mit den üblichen Abwasserkanälen zu tun hat. Er führt genau in die Richtung des Domes. Ich ging vor Jahren einmal ein Stück hinein, als ich das Haus erwarb und den Mauerdurchbruch entdeckte.«
»Das ist allerdings interessant. Sind Sie kräftig genug, um zu gehen?«
Sie nickte. »Langsam schaffe ich es schon.«
»Worauf warten wir dann noch?« drängte ich. »Führen Sie mich in den Keller.«
Rohe Ziegelmauern und modrige Feuchtigkeit umfingen uns, als wir in das Kellergewölbe hinabstiegen. Es war kühl. Ich öffnete mit großer Mühe und schweißüberströmt zwei halbverrostete Eisentüren.
»Sie kommen nicht oft hierher«, stellte ich fest.
»Da haben Sie recht, junger Mann. Diese Gewölbe liegen seit Jahren unbenutzt. Mein Heizmaterial habe ich in einem Raum im Erdgeschoß. Hier muss es irgendwo sein. Leuchten Sie dort in die Ecke.«
Ich sah in die Richtung, die der ausgestreckte Arm mir wies.
Ja, da war eine dunkle Stelle in der Wand. Ein Loch. Groß genug, dass ein Mann bequem durchkonnte. Allerdings hatte sich im Laufe der Jahre mehr Mauerwerk gelöst und einen Schutthügel gebildet, den es zur Seite zu räumen galt. Das war schnell getan. Ich zwängte mich versuchsweise durch. Es ging.
Meine ausgestreckte Hand stieß gegen eine Wand. Der Gang war ziemlich schmal. Ich leuchtete hinein. Es war ein finsterer Schlauch, dessen Wände feucht schimmerten. Ich kletterte zurück.
»Wagen Sie sich hinein?« fragte Madame atemlos.
»Es gibt immer die Möglichkeit, umzukehren«, sagte ich, um sie zu beruhigen. »Aber erst bringe ich Sie wieder nach oben.
Kommen Sie.«
Ein wenig unheimlich war mir schon zumute, aber ich fühlte mich genügend ausgerüstet. Selbst wenn meine Taschenlampe versagen sollte, hatte ich immer noch reichlich Streichhölzer.
Mit der Kreide wollte ich den Weg markieren. Niemand wusste, wie umfangreich das Katakombensystem war. Sicherlich war nicht mehr alles zugänglich.
Ich ließ den Schein der Taschenlampe über Boden und Wände gleiten. Spuren von mehreren Menschen waren in der feuchten Staubschicht am Boden zu sehen. Ich fröstelte unwillkürlich. Dann war nichts Übernatürliches in den Schreien. Aber der Gedanke war nicht weniger grässlich.
Ich folgte den Spuren vorsichtig. Das erleichterte die Entscheidung bei Quergängen. Gelegentlich markierte ich die Wände zusätzlich. Eine schwere niederdrückende Stille war um mich. Mein Herz klopfte wie rasend. Schutt und Gestein lag überall. Die meisten der katakombenartigen Räume waren kaum noch betretbar. Dann wurden die Gewölbe geräumiger.
Ich erkannte, dass ich mich wieder in einem Keller befand – aller Wahrscheinlichkeit nach unter dem geheimnisvollen Haus gegenüber der Einmündung der Domgasse. Das Haus der Gräfin.
Die Spuren liefen nun kreuz und quer. Ich folgte ihnen systematisch, soweit ich sie noch zu erkennen vermochte, und markierte die Wände, um unnütze doppelte Wege zu vermeiden.
Eine Weile lauschte ich, aber nichts regte sich. Dennoch war ich auf der Hut, als ich weitersuchte. Ich dachte an die alte Frau, die ich vom Fenster aus gesehen hatte.
Dann gelangte ich in einen Raum, der deutliche Spuren von Aktivität zeigte. An der Wand hingen angerostete Ketten mit Handeisen, an deren Schellen vertrocknetes Blut war, das mir nicht sehr alt schien. Mehrere Eschengerten lagen am Boden.
Sie waren nicht grün, sondern dunkel, schwärzlich. Es war unschwer zu erraten, wozu sie gebraucht worden waren. Hier war jemand ausgepeitscht worden. Die Schreie der Unglücklichen mussten es gewesen sein, die Madame gehört hatte.
Ich verließ den Raum und gelangte, den Spuren folgend, zu einer Stiege, die in einem scharfen Bogen nach oben führte.
Dunkle Tropfen am Boden erregten meine Aufmerksamkeit.
Blutstropfen, unzweifelhaft. Wohin hatten sie die offenbar schwer Verwundete gebracht? Befand sie sich noch in diesem Haus?
Der Gedanke beschleunigte meine Schritte. Eine Tür versperrte mir den Weg, aber sie ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen.
Dahinter ein großer Raum mit einer hohen, kuppelartigen Decke, an der im Zentrum eine Seilrolle hing. Das Seil hing lose darüber. Am Boden lag ein seltsames Eisengebilde, das einem Käfig nicht unähnlich sah …
Ich trat näher und betrachtete es genauer. Es war ein Käfig.
Ich entdeckte eine Öffnung, die sich verriegeln ließ. Ich schauderte unwillkürlich. Der Käfig
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