020 - Die Blutgraefin
ein Alptraum, nur von der einzigen Erleichterung erfüllt, dass dieses Mädchen nicht Ornella war.
Madame kam mir aus dem oberen Stockwerk entgegen. »Herr Clement, Gott sei Dank! Ich habe eben die Polizei benachrichtigt. Sie versprachen, sofort einen Wagen zu schicken.« Dann sah sie die Last in meinen Armen und schrie erstickt auf.
»Wohin?« fragte ich ratlos.
»Gott im Himmel! Schnell in das Zimmer, in dem Sie waren.
Legen Sie sie auf das Bett, kümmern Sie sich nicht um die Flecken. – Lebt sie noch?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich keuchend. »Rufen Sie einen Notarztwagen. Schnell. Sie muss sofort in ein Krankenhaus. Sie hat sehr viel Blut verloren.«
Mit dem Fuß stieß ich die Tür auf und trug sie hinein.
Blutstropfen fielen auf den Teppich. Ich legte sie vorsichtig auf das Bett. Ihr Puls war kaum fühlbar, aber sie lebte. Noch!
Gleich darauf erschien Madame. »Der Wagen ist schon auf dem Weg. Hier haben Sie Verbandszeug, wenn Sie …«
»Ja«, sagte ich hastig und riss ihr das Päckchen mit zitternden Fingern aus der Hand. Die meisten Wunden hatten Gott sei Dank aufgehört zu bluten. Die Schlagadern waren unverletzt.
Mit Desinfektionsmitteln und Watte begann ich sie abzutupfen.
Sie erwachte nicht. Es mochte Ohnmacht oder bereits Koma sein. Ihre Chancen standen nicht gut. Viele Leute waren schon an geringeren Wunden gestorben.
»Ist das Haustor offen?« fragte ich Madame, die bleich und mit zusammengebissenen Zähnen neben mir stand und mir Stück um Stück Watte und Mull reichte.
»Ja.« Ihre Stimme klang so spröde wie meine. »Haben Sie sie gesehen?«
Ich nickte. »Zwei Frauen. Eine in Weiß – wie die Erscheinung bei der Seance. Ich sah ihr Gesicht nicht genau.
Und ein altes, böses Weib.« Ich sah sie an. »Sie hatten recht, Madame. Ich kann es beschwören, dass sie nicht menschlich war.«
»Darvulia«, flüsterte sie.
Ich widersprach nicht.
Die Tür öffnete sich, und ein Mädchen stand im Zimmer.
Bleich und wortlos.
»Ornella!« entfuhr es mir. Auch Madame wandte sich um.
»Kindchen, woher kommen Sie?«
Leben kam in Ornellas Blick, so als nähme sie uns jetzt erst wahr.
»Alf«, murmelte sie. »O Alf, was ist nur mit mir?«
Ihre Augen weiteten sich, als sie das Mädchen auf dem Bett sah. Sie kam zögernd näher, ihr Gesicht eine Maske puren Entsetzens.
In diesem Augenblick öffnete das schwerverletzte Mädchen die Augen und enthüllte uns die ganze unfassbare und doch so nahe liegende Wahrheit.
Sie sah Ornella vor dem Bett stehen, und eine abgrundtiefe Furcht war in ihrem Blick. Ihr gepeinigter Körper bäumte sich auf. Ihre Hände fassten mit unglaublicher Kraft nach mir. Sie versuchte etwas zu sagen, aber nur unverständliche Laute kamen aus ihrem Mund. Sie zog mich an sich, als wollte sie sich hinter mich verkriechen, und stieß einen Schrei aus.
Mir war nicht klar, ob Ornella sofort begriff, aber ich sah an Madames Gesicht, dass sie das gleiche dachte wie ich. Ja, Ornella war diesen Lockungen erlegen, Darvulias hypnotischen Lockungen! Aber nicht als Opfer! Und ich ahnte beinahe, was sich in der Tasche befinden musste, die sie in ihrer Hand hielt.
Der Schrei des Mädchens ging in ein lang gezogenes Stöhnen über und verklang. Sie war wieder bewusstlos.
Aus Ornellas Miene sprach deutliches, ehrliches Grauen. Das war kein Schauspiel. Sie wusste nicht, was mit ihr während der letzten Stunde geschehen war. Ich sah sie an und suchte vergeblich nach Worten. Wie es ihr sagen? Was tun? Alles in mir bäumte sich auf gegen die Wahrheit.
Madame sah mich an. Ihre Augen waren voller Mitleid. Und ich wollte heulen – einfach sitzen und heulen und nicht an den nächsten Augenblick denken.
Das Haustor ging, Männerstimmen waren zu hören. Madame eilte zur Tür und führte die Sanitäter herein. Ich atmete auf.
Sie untersuchten das Mädchen mit schnellen, sicheren Bewegungen. »Lebt noch«, murmelte einer.
»Macht rasch«, meinte der andere und lief zur Tür, vor der ein weiterer mit einer Trage wartete.
Er sah zu, wie seine beiden Begleiter das Mädchen vorsichtig auf die Trage legten. Dann fiel sein Blick auf meinen blutigen Anzug. »Haben Sie das Mädchen gefunden?«
Ich nickte.
»Wir müssen die Polizei verständigen«, sagte er.
»Ist schon verständigt«, erklärte Madame.
»Wir bringen sie ins Unfallkrankenhaus nach Meidling.« Er reichte Madame einen Zettel mit der Rufnummer.
Dann lauschten wir, wie der Sanitätswagen mit heulenden Sirenen unten losfuhr.
Ich
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