0203 - Die Geisterfrau
Wand!
Festgebrannt wie die Erinnerung an Nagasaki. An die Radio-Schatten von Menschen, die der Glutodem der Atomexplosion traf und vernichtete.
Tot! dachte er, und die Verzweiflung stieg in ihm hoch. Nicole ist tot! Dieser verfluchte Spuk hat sie umgebracht!
Er taumelte, konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. Er hatte Nicole gemocht, hatte sie in gewisser Hinsicht geliebt. Eine Zeitlang war die Bindung an sie sehr eng gewesen, obgleich er niemals versucht hatte, sie Zamorra wegzunehmen. Nicole und Zamorra gehörten zusammen. Und dann hatte Bill irgendwann Manuela gefunden.
Aber jetzt, jetzt wußte er, daß Nicole immer noch ihren Platz in seinem Herzen besaß.
Sie war getötet worden.
»Brauchen Sie einen Arzt?« vernahm er wie durch Watte Prescotts Frage.
»Nein«, flüsterte er. »Keinen Arzt. Hier braucht niemand mehr einen Arzt. Der kann ihr doch nicht mehr helfen.« Wieder deutete er auf die Stelle, wo nur noch ein Schatten von Nicoles Existenz zeugte.
»Tot«, flüsterte er heiser. »Sie ist tot. Lassen Sie mich, Prescott.«
Er entwand sich dem Griff des Technikers und taumelte die Treppe hinunter. Wie im Traum fand er seinen Weg, erreichte den Westflügel und steuerte sein Zimmer an, als der mächtige Gong zum Essen rief. Ein Uhr dreißig mittags… Traditionelle Essenszeit im Castle.
Aber er brachte doch keinen Bissen herunter! Nicht jetzt! Nicole war tot.
Er fand sein Zimmer, taumelte hinein und warf sich in einen Sessel. Dumpf brütete er vor sich hin.
Wie, um Himmels willen, hatte der Spuk es fertiggebracht, Nicole auf diese furchtbare Weise zu töten?
***
Wiederum glaubte Zamorra für einen kurzen Augenblick Kontakt mit dem Geistwesen zu haben, nach dem er rief, aber der Kontakt riß bereits wieder ab, ehe er ihn richtig wahrnahm. Aber tief im Hintergrund glaubte er ein Echo bemerkt zu haben.
So wie jemand, der direkt neben einem Plattenspieler steht, zunächst das Geräusch direkt von der tonabnehmenden Nadel hört und dann erst, mit einer Verzögerung von einer halben Sekunde an aufwärts aus dem Lautsprecher, je nach Länge des Kabels.
Abermals konzentrierte er sich und rief nach dem Schloßgespenst, aber der flüchtige Kontakt kam kein zweites Mal zustande. Immerhin war Zamorra jetzt absolut sicher, daß es dieses Wesen gab.
Aber warum antwortete es nicht?
Warum nahm es nicht Kontakt auf? Es wäre für das Geistwesen eine Möglichkeit, sich mitzuteilen und Gründe für sein Verhalten zu offenbaren. Denn nichts geschieht ohne Grund. Und Zamorra wollte wissen, ob die Annahme stimmte, daß sich dieser Geist mit immer radikaleren Mitteln gegen etwas zur Wehr setzen wollte.
Die Bewohner des Castles wollten das Gespenst bis zur Stunde noch nicht bemerkt haben – weder die Pendrakes noch die zahlreiche Dienerschaft. Nur Bill Fleming war attackiert worden, und jetzt, nach ihrem Eintreffen, Nicole und Zamorra.
Daraus resultierte, daß das Gespenst nur etwas gegen die Außenstehenden hatte. Warum? Sollte Bill Fleming ursprünglich aus Pendrake Castle vertrieben werden?
Zamorra zuckte mit den Schultern, erhob sich und hängte sich das Amulett wieder um den Hals. Es war zwecklos, den Versuch fortzusetzen. Er mußte warten, bis das Gespenst wieder zuschlug, um dann möglichst schnell genug selbst zuzufassen. Vielleicht konnte er zwischenzeitlich auch noch mehr Dinge in Erfahrung bringen. Wie es schien, war der spleenige Lord nicht gerade abgeneigt, sich über dieses Thema zu unterhalten.
Zähmen Sie das Gespenst!
Zamorra schmunzelte. Erst einmal mußte er den Geist in die Finger bekommen, dann konnte er sich um die Zähmung des Widerspenstigen kümmern. Aber daß der Geist sich wie ein Schoßhündchen abrichten und als Touristenattraktion vorführen lassen wollte, konnte auch er sich nicht gut vorstellen. Selbst im hintersten Schottland spukten die Schloßgeister nur dann auf Kommando, wenn ein Mensch dahintersteckte, der sich ein Bettlaken übergeworfen hatte und von der Burgmauer »Buuh« schrie.
Der Meister des Übersinnlichen schloß sein Hemd, rückte die Krawatte gerade und wollte gerade nach der Uhr sehen, als der Gong aufklang, der zum Mittagessen rief. Halb zwei…
Wie schnell die Zeit vergangen war, war ihm gar nicht aufgefallen. Gemütlich schritt er hinüber zum Speiseraum, in dem bereits aufgetragen worden war. Zugleich trafen Mylord und Mylady ein. Mylady warf dem Parapsychologen einen giftigen Blick zu.
»Wo haben Sie denn Ihre Begleitung?«
Zamorra hob die Schultern.
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