0206 - Rache aus dem Grab
ich glaub’s tatsächlich nicht!«
»Da kann man nichts machen«, sagte Kerr und nippte an dem heißen Getränk. Es fraß sich durch den Schlund und begann ihn innerlich aufzuwärmen.
In der Schankstube gab es Lärm. Irgendwer hatte sie betreten. »Moment mal«, brummte Hurst, ließ seine Tasse stehen und ging hinüber. Kerr folgte ihm langsam, nahm seine Tasse aber mit, weil das Gesöff zu gut gebraut war, um es kalt werden zu lassen. Alec Hurst schien das Keffeekochen im Wilden Westen gelernt zu haben, wo die Cowboys nach dem Motto »Das Hufeisen muß schwimmen« vorgingen.
Potter, der Bürgermeister, stand am Tresen und war offensichtlich erregt. Kerr wußte, daß in solchen Dörfern der Barbier und der Barkeeper die Tageszeitungen waren, und hier wurden auch die brandneuen Informationen abgeladen.
»Was glaubst du, wen ich gesehen habe, Alec?« stöhnte Potter. »Gib mir erst ’n Whisky!«
Hurst wuchtete seine zweieinhalb Zentner Lebendgewicht zum Regal und holte die bauchige Flasche heraus, um Potter einzuschenken. »Du bist dem Geist von John Halifax begegnet«, brummte er.
»Schlimmer«, ächzte Potter und ließ den Whisky blitzschnell hinter dem Hemdkragen verschwinden. Da sah er Kerr in der Tür zu Hursts Privaträumen stehen.
»Hallo, Inspector… das geht wohl auch Sie an«, sagte er hastig. »Hoffentlich halten Sie mich nicht für verrückt…«
»Also doch Ghost Halifax«, knurrte Hurst und füllte Potters Glas nach.
»Nein«, sagte Potter. »Er persönlich. Quicklebendig in eigener Gestalt! Sitzt vor seinem Haus auf der Bank und raucht Pfeife wie in alten Tagen!«
***
»Heute spinnen sie alle«, sagte Alec Hurst ungerührt. »Verdammt, und für den Nonsens lasse ich meinen Kaffee kalt werden… sorry, meshurs.« Er schob sich an Kerr vorbei und verschwand.
»Ich halte Sie nicht für verrückt, Mister Potter«, sagte Kerr und kam um den Tresen herum. »Ich hatte nämlich auch bereits eine Begegnung mit unserem Freund. Er beliebte mein Gesicht in eine neue Form zu pressen.« Dabei ballte er seine linke Faust und deutete damit an, auf welche Weise diese Formgebung erfolgt war. »Klassischer knock-out.«
»Ich kam zufällig an seinem Haus vorbei«, murmelte Simon Potter und bediente sich erneut an der Whiskyflasche. Kerr verzichtete darauf, sie ihm wegzunehmen. Potter sah gewiß nicht wie ein Trinker aus. Die Begegnung mit dem Toten hatte ihn aus seiner Bahn geworfen, und wenn er sich jetzt betrank, würde er es überleben.
»Und da saß er«, fuhr Potter fort. »Saß auf der Bank vor seinem Haus und rauchte seine Pfeife, wie er es immer getan hat. Ich dachte, ich träume, ging zu ihm und griff nach ihm. Er war echt, Mister Kerr! Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist! Er ist kein Gespenst! Er ist es wirklich, ist echt und lebt! Er…«
»Ganz ruhig«, murmelte Kerr und legte dem Bürgermeister die Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig bleiben, nicht aufregen. Es wird sich alles aufklären. Wie ich schon sagte - mir hat er heute nacht ein volles Pfund verpaßt…«
»Aber wie ist das möglich?« fragte Potter.
»Es gibt Dinge, die sich nicht mit einem Wort erklären lassen«, sagte Kerr. »Im Laufe des Tages wird ein Spezialist eintreffen, der sich der Sache annehmen wird. Ein Professor Zamorra aus Frankreich. Bis dahin werden wir abwarten, was unser Wiederbelebter zu tun beliebt.«
Potter sah ihn an. In seinen Augen flackerte es.
»Diese… diese Filme«, murmelte Potter. »Diese Horror-Filme mit den Zombies! Glauben Sie - glauben Sie, daß er ein Zombie geworden ist?«
Kerr zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht«, sagte er.
Nach einer zweiten Tasse verabschiedete er sich von Potter und ging hinauf zum Zimmer, um sich frisch zu machen und standesgemäß zu bekleiden. Trotz seiner schmerzenden Gesichtshälfte freute er sich darauf, Babs mit einem Guten-Morgen-Kuß zu wecken.
Aber da war niemand, den er wachküssen konnte.
Das Zimmer war leer. Babs war verschwunden.
Spurlos.
***
Der wilde Klang einer Zweiton-Fanfare schreckte Kerr hoch. Er stürmte nach draußen und sah einen offenen Aston Martin Volante, dessen brabbelnder V-8-Motor gerade verstummte. Zwei Personen stiegen aus, die Kerr nur zu gut kannte.
Professor Zamorra und seine Gefährtin und Sekretärin Nicole Duval.
»Hallo«, rief Nicole, lief Kerr entgegen und begrüßte den überraschten Inspektor mit einem Kuß auf die Wange. Kerr lächelte, brachte Nicole etwas auf Abstand und reichte Zamorra die
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