0208 - Die sieben Leben des Vampirs
winkte der Punk ab und paffte Bills Zigarette im Akkord.
»Leg dich doch nicht dauernd mit dem an, Krischan«, warnte ihn einer seiner Kameraden.
»Ach, der soll mal nach Lippstadt, zu uns, kommen. Da machen wir ihn alle«, verkündete Krischan großspurig und wandte sich an Bill. »Ich bin nämlich nur zu Besuch hier, 'n duften Kumpel besuchen. Also, was is jetzt mit den Zigaretten? Haste noch welche?«
»Wie war das mit der Fledermaus?« hakte Bill nach und winkte mit der ganzen Packung.
»Wir hörten 'ne Frau schreien. So ganz laut, weißt du. Überfall, hat sie geschrien. Hilfe, Überfall. Da dachten wir, da ist was los und sind hin. Schließlich sind wir ja anständige Menschen und helfen, wenn wo was los ist.« Er sah den Polizisten an. »Hast gehört, Bulle? Wir sind anständige Menschen und helfen! Aber das verstehst du nicht. Du bist ja gestört.«
»Weiter«, verlangte Bill.
»Au, das waren ganz heiße Flammen. Eine Braune und eine Blonde. Richtig scharf. Wir dachten erst, da sind ein paar Kerls drauf. Waren aber nicht. War 'ne Fledermaus. Hier, wie dieser Knilch im Film, dieser Dracula oder wie er sich schimpft. Hockte drauf und schmatzte. Und dann is' er mit der Blonden abgehauen, bevor wir da waren. So einfach, hui, durch die Luft. Weg war er. Und dann kamen die Bullen und fielen über uns her. Wir hatten der Frau da was getan.«
»Was ist mit der Frau?« fragte Bill.
Der Polizist deutete auf den Ambulanzwagen. »Sie wird gerade versorgt. Zwei Stichwunden am Hals.«
»Sag' ich doch. Dracula«, behauptete der Kraushaarige. »Aber der Bulle versteht das nicht. Der ist ja…«
Die Hand des Beamten holte aus. »Halt den Rand, oder ich bin für zehn Sekunden in Urlaub«, drohte er.
Bill schob sich zwischen ihm und dem Punk vorbei auf den Ambulanzwagen zu. Dort erschien gerade Manuela, von zwei Männern in weißen Kitteln gestützt.
»Manu!« Er schloß sie in seine Arme, küßte sie und brachte sie dann auf Halbmeter-Abstand. »Was war los?«
Sie wirkte irgendwie müde. Bill sah das Pflaster, das sich auf ihrem Hals befand.
»Ihre Frau oder Freundin?« fragte einer der beiden Ärzte lächelnd. »Ich glaube, wir brauchen sie nicht ins Krankenhaus mitzunehmen. Es wäre aber gut, wenn Sie morgen einmal vorbei schauen könnten.«
Bill legte den Arm um Manuelas Schultern, »Danke«, nickte er den beiden Nothelfern zu und kam mit dem Mädchen zur streitenden Gruppe zurück. Dort gingen die Polizisten gerade zur Reinigungsaktion über. Der Einsatzführer kam auf das Mädchen zu. »Ich bin froh, daß wir gerade noch rechtzeitig gekommen sind. Ein Telefonanruf hat uns alarmiert. Diese Burschen hätten Sie bestimmt…«
Manuela schüttelte langsam den Kopf.
»Wieso diese Burschen?« fragte sie. »Was wollen Sie von denen? Das sind doch nette Jungs. Die wollten uns helfen, Nicole und mir! Wenn sie nicht gewesen wären, hätten Sie Tote einsammeln können…«
Die Kinnlade des Beamten erreichte ihren Jahrhundert-Tiefststand. Er war sprach- und fassungslos.
***
Krakow war mit sich zufrieden. Das braunhaarige Mädchen war mit dem Vampirkeim infiziert worden. Sie war ihm jetzt hörig. Noch war sie selbst kein Vampir; dazu war die Kraft des Keims noch nicht stark genug. Krakow hätte mehr von ihrem Blut trinken müssen. Erst wenn das eintrat, was die Sterblichen Tod nannten, würde sie als Untote der Vampirin werden. Aber auch so war sie als Waffe verwendbar. Krakow konnte ihr Befehle erteilen, und sie würde diese Befehle ausführen.
Krakow grinste in seinem Versteck, in das er sich mit seiner Jagdbeute zurückgezogen hatte. So wie er die Menschen kannte, würde der blonde Vampirtöter Schwierigkeiten haben, sich gegen das Mädchen zu wehren. Er würde es nicht wagen, mit voller Härte zurückzuschlagen. Krakow kicherte leise.
Er betrachtete seine »Beute«, die er auf den Boden vor seinen alten Sarg gelegt hatte. Ein schlankes, blondes Mädchen, eine wahre Schönheit. Krakow überlegte.
Mit ihr konnte er versuchen, seine Gegner zu erpressen. Er konnte aber auch noch etwas anderes versuchen.
Ein weiteres Leben einzuhandeln…
Er hatte während des Tages in seinem Sarg reiflich Gelegenheit gehabt, nachzudenken. Und er war zu der Erkenntnis gekommen, daß der Höllenfürst nur schwerlich auf sein Verlangen nach einem weiteren Leben eingehen würde.
»Eigene Dummheit«, würde Luzifer sagen. Dennoch blieb Krakows Anspruch auf ein vollständiges fünftes Leben erhalten.
Vielleicht konnte er handeln.
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