021 - Aufbruch in die 'Neue Welt'
tausend Falten.
»Cosimus war heute Morgen auf der Santanna. Sein Onkel Fernaduu hat ihn geschickt. Er verlangt dich zu sprechen.«
»Warum?!« Herrisch und anklagend klang die Stimme des Kapitaans jetzt.
»Jemand hat Fernaduu erzählt, dass es nichts gibt im Sonnenuntergang, nur das endlose Meer, und dass von sechs Expeditionen, die dieses Nichts gesucht hatten, keine je wieder zurückkehrte…«
»Der Fraacaner…«, zischte Colomb.
»Fernaduu hat Angst um sein Gold. Cosimus hat angedeutet, dass er vielleicht doch nicht investieren will…«
»Der Fraacaner!«, schrie Colomb. »Wudan verfluche ihn! Wie sollen wir ohne Fernaduus Gold die Seeleute bezahlen?! Der Fraacaner hat sich an ihn herangemacht und Zweifel in seinen Verstand gesät! Alles tut er, um vor uns auslaufen zu können! Alles!« Mit beiden Fäusten trommelte der Kapitaan auf seinen Arbeitstisch.
»Fernaduu will dich in drei Tagen sprechen«, sagte Tuman. Er hörte sich nun ziemlich kleinlaut an.
»Zu spät!«, schrie Colomb. »Zu spät! Ich will ihn spätestens morgen sehen!« Sein langer Arm reckte sich in Richtung Tür. »Geh und sag ihm das! Spätestens morgen Abend will ich mit ihm sprechen!«
Kühler Wind blies vom Meer her. Nebelschwaden schwebten über dem Wasser. Bis zur Reling verhüllten sie die Schiffe an den Anlegestellen. Nicht mehr dunkel war es, aber auch noch nicht hell. Der vertraute milchige Fleck der Sonne versteckte sich irgendwo über der Hochnebelwand.
Der Sklavenzug kroch über das Kai. Wakuda-Karren, mit Säcken und Kisten beladene Frekkeuscher und Männer und Frauen mit verschnürten Bündeln auf Kopf und Schultern wichen zur Seite, um die Sänfte des Sklavenmeisters und der ihm folgenden Kolonne Platz zu machen.
Als wären wir aussätzig, dachte Matt. Seine Fußsohlen brannten; jeder Schritt war eine Qual. Zwanzig Rutenhiebe auf jede Fußsohle hatten sie ihm verpasst. Und Tritte in Bauch und Weichteile. Er fühlte sich krank.
Noch immer trug er seine Ketten. Wie Aruula neben ihm. Sie sprachen kein Wort. Das Gerassel der Ketten begleitete jeden ihrer Schritte. Und das Scharren der Chininpanzer der Andronen. Die riesigen Insekten schaukelten neben ihnen her. Ihre Reiter machten kaum Gebrauch von ihren Peitschen an diesem Morgen.
Matt wusste warum: Den potentiellen Sklavenkäufer auf dem Markt sollte der Eindruck williger und zahmer Sklaven vorgegaukelt werden. Brauchbares Material, dachte Matt bitter.
Es ging bergauf, über Kopfsteinpflaster in die Stadt hinein. Häuserfronten zogen vorbei. Neugierige standen am Straßenrand, aber lange nicht so viele wie bei ihrer Ankunft in Plymeth. Es war noch früh am Morgen. Die Menschen am Straßenrand beäugten sie nur verschlafen. Kaum einer, der ein höhnisches Wort in den Zug der zwanzig Sklaven hinein rief. Und erst recht niemand, der schon wach genug war, um handgreiflich zu werden.
Die Straße führte auf einen großen Platz. Schief aneinander gelehnte Fachwerkhäuser begrenzten ihn. Wieder wunderte sich Matt über das gepflegte Stadtbild. Kultivierte Menschen lebten hier, keine verschrobenen Barbaren wie in Dysdoor, keine Halbwilden wie die Lords in Landän, keine Nomaden wie die Angehörigen der Wandernden Völker.
Matt sah Männer, die Marktstände er- richteten. Er sah Wakuda-Karren voller Gemüsekisten und Leute, die Waren abluden, er sah überdachte Podeste an den Außenseiten des weiträumigen Platzes. Dort sammelten sich Menschen.
Zwei verschiedene Sorten von Menschen - Matt konnte sie deutlich unterscheiden: Die einen schwangen Peitschen und bewegten sich schnell und energisch, die anderen schlichen mit hochgezogenen Schultern auf die Podeste. Sklavenhändler und Sklaven. Auf der linken Seite des Marktes waren es Frauen und Kinder, die sich auf den Podesten sammelten, auf der rechten ausschließlich Männer.
Das ist er, dachte Matt, das ist der Marktplatz… Hier wird uns der Fettkloß verschachern, wie andere ihr Gemüse oder ihre Stoffe verschachern…
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»Halt!« Die Fistelstimme Emrocs erklang von der Spitze der Kolonne. »Anhalten!« Der Sklavenzug stand still. Alle hoben die Köpfe und blickten zur Sänfte des Sklavenmeisters.
Aruula und Matt rückten zusammen. Matt hob die aneinander geketteten Arme und zog sie über Aruulas Kopf und Schultern. Ganz fest hielten sie sich. So fest, als wollten sie sich nie wieder loslassen. Doch beide wussten genau – sie würden sich loslassen müssen, bald und vielleicht für Immer.
»Ich liebe
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