021 - Blutorgie in der Leichengrube
»Okay, ich werde versuchen, mit ihm zu reden«, fügte ich zögernd hinzu.
Angst kann man sich einreden; man kann sie fühlen; man kann auch daran ersticken.
Ich meinte, etwas von der Angst zu wittern, als ich mich mit dem Wagen langsam Cruelymoe näherte. Es regnete. Die alten krächzenden Scheibenwischer hatten Mühe, die peitschenden Tropfen zu bändigen. Ich fragte mich, was Touristen bewegte, diese Gegend aufzusuchen. Sie war von beinahe trostloser Schwermut erfüllt, so daß schon die niedrigen, weißgetünchten Häuser in den braunen Hügeln ein tröstlicher Anblick waren.
Marvin Cohen und Steve Powell waren vorausgefahren. Sie hatten sich in Lance O'Neills Gasthaus einquartiert, während ich aus taktischen Erwägungen ein Privatzimmer zu nehmen beabsichtigte. Cohen und Powell waren nicht unerfahren im Kampf gegen das Dämonenunwesen, aber es wäre übertrieben zu behaupten, daß ich in ihnen liebenswerte Freunde und Kollegen sah. Besonders Marvin Cohen, der grobschlächtige Zweiunddreißigjährige, war keineswegs ein Mann, der Sympathien verdiente. Aber er war clever und furchtlos; man konnte darauf vertrauen, daß er stets sein Bestes gab, auch wenn er gelegentlich Züge von Brutalität erkennen ließ. Doch um mit unseren bestialischen Gegnern fertigzuwerden, mußte man oft brutal sein.
Der sechsundzwanzigjährige Steve Powell war dagegen aus anderem Holz geschnitzt. Er konnte seine irischen Wurzeln nicht verleugnen, weder im Aussehen – er war rothaarig, sommersprossig und imponierte durch seinen leuchtenden Vollbart – noch im Temperament. Auch er kannte bereits sein Metier recht gut, obwohl er neben dem im Secret Service geschulten Marvin eher als Anfänger eingestuft werden mußte. Steve besaß jedoch Gespür, Rückgrat und Stehvermögen. Angst war ein Fremdwort für ihn.
Außer Steve und Marvin war noch Coco im Dorfgasthaus abgestiegen. Sie wußte, daß wir sie unterstützten, aber sie hatte den Auftrag, nichts davon verlauten zu lassen. Wir hatten nur dann eine Chance, dem Dämon ein Bein zu stellen, wenn er nicht wußte, welche Gegner ihn erwarteten.
Die Dorfstraße wirkte so trostlos wie alles, was sich meinen Blicken bot. Ich stoppte vor einem Haus, an dem ein Schild Zimmer frei hing. Von Coco hatte ich erfahren, daß der Fremdenhaß der Dorfbewohner sich dem kommerziellen Streben untergeordnet hatte. Die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, hatte sie dazu gebracht, sich mit einem bescheidenen Touristenstrom abzufinden. Die Leute von Cruelymoe begegneten ihren Gästen mit reservierter Freundlichkeit. Sie achteten das Gastrecht, hörten aber niemals auf, in den Fremden Eindringlinge zu sehen. Möglicherweise verdächtigten sie einige der Besucher sogar, als Spitzel und Abgesandte des Dämonen zu arbeiten, jedenfalls hatten die blutigen Vorfälle der letzten Jahre trotz des kleinen Touristenbooms keineswegs dazu beigetragen, die alte Aversion abzubauen. Im Gegenteil, sie war eher noch stärker geworden.
Ich schlüpfte vor dem Aussteigen in meinen Regenmantel, huschte zur Tür des flachen, weißgetünchten Hauses und betätigte die alte Glocke.
Die Tür öffnete sich. In ihrem Rahmen stand ein schwarzhaariger, vollbärtiger Mann. Ich erkannte ihn sofort wieder. Es war der Mann, der mich bei meinem Zusammentreffen mit Coco in London beobachtet hatte.
»Sie wünschen?« fragte er.
»Ich suche ein Zimmer.«
»Ich bin selbst Pensionsgast«, sagte er, wandte den Kopf und rief nach hinten: »Mrs. Garbae!«
Eine alte Frau schlurfte heran. Sie trug Holzschuhe und eine schwarze Schürze über einem schwarzen Kleid. Der Vollbärtige zog sich zurück. »Ich fürchte, das Zimmer ist nichts für Sie«, sagte sie. »Es hat nicht einmal fließendes Wasser.«
»Ich liebe und suche spartanische Schlichtheit«, log ich unerschrocken und ließ mir das Zimmer zeigen.
Das Beste, was sich davon sagen ließ, war, daß es Sauberkeit ausstrahlte. Ansonsten wäre ihm selbst eine normale Gefängniszelle vorzuziehen gewesen.
»Wunderbar!« log ich. »Ich nehme es. Bin ich der einzige Gast im Haus?«
»Nein, Sir. Ich vermiete zwei Räume.«
»Ah, dann ist der bärtige Herr ebenfalls ein Urlauber?« fragte ich.
»Ja, Mr. Kiwibin.«
»Wie bitte?«
»Kiwibin.« Sie kicherte. »Klingt komisch, nicht wahr? Ein Herr aus London.«
»Was treibt er denn beruflich?«
Sie näherte ihren fast zahnlosen Mund meinem Ohr und winkte mir zu, mich zu ihr hinabzubeugen. Ich tat ihr den Gefallen und ignorierte tapfer den
Weitere Kostenlose Bücher