021 - Blutorgie in der Leichengrube
Dinge, die nicht greifbar sind«, begann er zögernd. »Sie entziehen sich einfach unserer Kontrolle, obwohl sie uns kommandieren und vernichten können. Es ist unsere heilige Pflicht, sie zu bekämpfen und …« Er suchte nach Worten und hatte sichtlich Mühe, ihr sein Problem verständlich zu machen.
»Dämonen«, kam ihm Coco entgegen.
»Ja. Woher weißt du das?«
»Das gestrige Erlebnis hat mir die Augen geöffnet«, behauptete sie.
»Ich stamme aus einem kleinen irischen Dorf, aus Cruelymoe«, fuhr er fort. »Vor vier Jahren hat sich dort eine Tragödie zugetragen. Wir wurden das Opfer eines …« Er unterbrach sich erneut. Alles in ihm sträubte sich dagegen, Coco einzuweihen. Er hatte Angst, daß sie ihn für einen Narren halten würde. Wer glaubte schon an Geister? Andererseits hatte Coco selbst erlebt, was im Schloßpark des Dämonen geschehen war. Aber konnte sie nicht auch glauben, lediglich auf ein Rudel wilder Hunde gestoßen zu sein?
»Weiter!« drängte sie.
Er gab sich einen Ruck. Vier Jahre lang hatte das Wissen um das Grauen wie eine Zentnerlast auf seiner Seele gelegen. Es hatte seine Jugend verdunkelt und sein Leben in neue Bahnen gelenkt. Plötzlich drängte alles in ihm danach, sich der geliebten Frau zu eröffnen und dabei das Mitgefühl, das Verständnis zu finden, das ein Mann in seiner Lage brauchte.
»Meine Schwester Clara wurde von dem Dämon getötet«, sagte er und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.
Seine Kinnladen mahlten, als müßte er Stahl zerbeißen. »Sie blieb nicht das einzige Opfer seines Blutrausches. Wir konnten ihn verletzen und vertreiben, aber er verfluchte uns und schwor, uns alle zu vernichten.«
»Die Blooms?«
»Das ganze Dorf.«
»Aber seitdem sind vier Jahre vergangen.«
»Und er ist viermal zurückgekehrt«, bestätigte Sheldon grimmig. »Und jedesmal mußten einige von uns ihr Leben lassen. Der Dämon wird keine Ruhe geben, bis er uns alle getötet hat. Es sei denn, wir kommen ihm zuvor.«
»Ich verstehe. Deshalb bist du unterwegs. Du wolltest den Unhold töten. Du wolltest ihn in seinem Schloß aufsuchen.«
»Ich bin nicht einmal völlig sicher, ob ich die richtige Spur verfolge«, sagte er zögernd, »aber vieles spricht dafür, daß der Gesuchte in dem Schloß hier haust. Du hast selbst erlebt, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es ist, sich ihm zu nähern. Auch die Polizei ist uns keine Hilfe. Natürlich mußten wir sie jedesmal rufen, sobald der Dämon zugeschlagen hatte, aber wenn wir begannen, die Wahrheit zu schildern, ernteten wir nur blanken Hohn und erweckten den Verdacht, ein paar Morde verschleiern zu wollen, die im Zustand der Trunkenheit von Dorfbewohnern begangen wurden.«
»Ich kann dir helfen«, sagte Coco.
»Du?« echote er verblüfft.
Sie nickte. Dabei wollte sie ihre Trümpfe nicht vollständig ausspielen, deshalb beschloß sie, sich selbst etwas zurückzunehmen und Sheldon an Dorian Hunter zu verweisen. »Ich kenne einen Mann, der die Bekämpfung der Dämonen zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat.«
»Ein Magier?«
»Nein. Ein Mann, der im Dienste des Staates steht.«
»Du machst Witze.«
Coco lächelte dünn. »Ich kann verstehen, daß du meine Worte als Verhöhnung betrachten mußt, aber du wirst rasch begreifen, wie ernst sie gemeint sind. Es gibt in jedem Land der Welt ein paar Behörden, die gute Gründe haben, ihre Arbeit vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten.«
»Warum haben wir in Cruelymoe noch nichts von diesen Leuten gehört?«
»Wie schon gesagt: die Organisation ist geheim. Sie kann es sich nicht leisten, an die Öffentlichkeit zu treten, da es immer noch zu viele Skeptiker gibt, die die Augen vor der Wahrheit verschließen.«
»Wenn das so ist«, meinte Sheldon und stellte sein Glas aus der Hand, »muß ich unsere Begegnung als einen geradezu unwahrscheinlichen Glücksfall empfinden, denn ohne ihn wäre ich vermutlich niemals von der Existenz dieser Organisation unterrichtet worden.«
»Ein Glücksfall«, sagte sie und ließ sich auf seinem Schoß nieder, »ist unsere Begegnung doch sowieso.«
Es tat gut, einmal nur die Sonne zu sehen, die Menschen zu betrachten, den Londoner Herbst zu genießen, sich dem schillernden Leben hinzugeben, ohne daran zu denken, wovon es bedroht wurde. Seit den Ereignissen in New York waren mehrere Wochen vergangene – Wochen, in denen die Schwarze Familie anscheinend eine Ruhepause eingelegt hatte. Wir hatten bisher nichts von Olivaro gehört, der es
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