0211 - Die Nacht in der Schreckensburg

zurückzuverwandeln. Aber das war schon so lange her und von vielen anderen, neueren Erlebnissen überdeckt worden, daß Zamorra kaum noch an sie gedacht hatte.
    »Wir werden eine sehr schnelle Flugverbindung bekommen«, verriet Nicole. »Schließlich will ich ja in Edinburgh noch einkaufen…«
    Da warf ihr Zamorra ein Kissen an den Kopf.
    ***
    Aus dem Einkäufen in Edinburgh wurde zu Zamorras unsäglicher Erleichterung nichts. Eine Direktverbindung existierte nicht; sie mußten in London auf eine Anschlußmaschine warten, und die hatte Verspätung, weil sie wegen Nebels nicht landen konnte. Als sie endlich in Edinburgh einen Leihwagen übernommen hatten, um in Richtung Scardroy Lodge weiter zu fahren, drängte selbst Nicole auf schleunigen Aufbruch. Es war bereits fast Zeit zum Five-o’clock-tea, und wer die schottischen Straßen kennt, weiß, wie lange es dauert, dort ein paar Kilometer zurückzulegen, wenn man ortsunkundig ist. Und auch Nicole legte keinen gesteigerten Wert darauf, erst im Dunkeln ihr Ziel zu erreichen.
    Zamorra fuhr den gemieteten Range Rover selbst. Für den hatte er zwar tiefer in die Tasche greifen müssen als für ein schwachbrüstiges motorisiertes Fahrzeug, aber ein wenig Kultur beim Fahren sollte schon sein, und der Range Rover verband die Vorzüge eines komfortablen Wagens mit denen eines sehr geländegängigen Fahrzeuges und besaß zudem einen bärenstarken Motor. Und darauf legte nicht nur Zamorra besonderen Wert. Er wußte nicht, was wirklich auf ihn wartete, und es konnte sein, daß er die Leistungsreserven des Wagens voll ausschöpfen mußte, um zu überleben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen… und da sollte der Teufel das Benzinsparen holen!
    Schmale, kurvenreiche Straßen behinderten das rasche Vorwärtskommen, und als nach dreimaligem Verfahren, weil Nicole vergessen hatte, sich am Flughafen eine Straßenkarte zu besorgen, endlich das Ortsschild von Scardroy Lodge auftauchte, stand die Sonne schon tief.
    Zamorra ließ den Wagen langsamer werden. »Es wurde aber auch Zeit«, sagte er und schaltete das Autoradio ab. »Jetzt müssen wir nur noch zusehen, daß wir Tanja finden.«
    »Wahrscheinlich hat sie sich im Pub eingemietet«, vermutete Nicole. »Wir sollten sehen, wo irgendwo das Schild mit dem schäumenden Bierkrug über der Tür hängt.«
    »Komisch«, sagte Zamorra. »Ich habe so ein komisches Gefühl. Mir ist, als würden wir sie nicht im Ort finden, sondern irgendwo außerhalb.«
    Er stellte auch den Motor ab. Der Wagen blieb zehn Meter vor dem Ortseingangsschild stehen. Zamorra stieg aus und schnupperte.
    »Was ist?« fragte Nicole. Wie Zamorra trug sie einen dunklen Jeansanzug; für nächtliche Abenteuer eine durchaus praktische Bekleidung, reißfest und unauffällig. Modischen Schnickschnack konnte man sich für die Siegesfeier aufbewahren.
    »Da ist etwas«, behauptete Zamorra. »Ich rieche es.«
    Nicole zog jetzt ebenfalls ihr Stupsnäschen kraus. »Ich weiß nicht, was du hast«, sagte sie. »Hier riecht’s nach unverfälschter Natur ohne chemische Zusätze.«
    Zamorra schüttelte den Kopf. »Da ist etwas anderes«, sagte er. »Etwas Böses. Es riecht - nach Vampiren.«
    Nicole stemmte überrascht die Fäuste in die Hüften.
    »Du spinnst«, sagte sie. »Die frèudige Erwartung, gleich einen Schluck gallenbitteren Bieres ’runterwürgen zu können, hat dir den Verstand geraubt.«
    Aber dann sah sie, wie Zamorras Hand fast unauffällig nach seinem Amulett tastete, das er unter dem Hemd trug. Da wußte sie, daß er es ernst meinte.
    Er fühlte eine dämonische Aura, die sich irgendwo in der Nähe befinden mußte. Die Ausstrahlung von Vampiren.
    Oder von Sanguinus?
    »Komm«, sagte er und stieg wieder ein. »Wir fahren ins Dorf.«
    ***
    Der Wirt im Pub sah so aus, wie man sich für gewöhnlich einen Wirt vorstellt, aber die Stimmung war nicht gut. Ein paar Männer hockten niedergedrückt an den Tischen und murmelten etwas. Der Wirt selbst fuhr fast erschrocken herum, als Zamorra die Tür aufstieß und eintrat. Nicole folgte ihm.
    »Hallo«, sagte sie.
    Die vier Männer, auf zwei Tische verteilt, blickten auf. Einer erhob sich und starrte Nicole an.
    »Sieh an«, sagte er gefährlich leise und langsam. »Die Schwarzhaarige traut sich wieder her! Ah, es wird gleich dunkel, nicht wahr?«
    Jetzt sprangen auch die anderen drei auf. Zamorra sah, wie der Wirt blitzschnell unter die Theke girff und ein Gewehr hervorzog, das er auf die beiden Franzosen richtete. Es war