0211 - Die Nacht in der Schreckensburg

wähnten.
    Aber nicht alle verschwanden auf diese Weise aus ihrem Gesichtskreis. Ein Mann blieb draußen. Wahrscheinlich sollte er dort aufpassen, falls der Vampirin die Flucht gelang.
    Im Haus wurde es sehr lebendig. Tanja erkannte, daß es für sie allerhöchste Zeit wurde. Sie schwang sich auf die Fensterbank, spannte die Muskeln an und sprang.
    Das mächtige Astwerk des altehrwürdigen Baumes fing sie auf. Tanja klammerte sich fest und sah nach unten. Der Aufpasser war bis jetzt noch nicht auf die Idee gekommen, nach oben zu sehen. Tanjas wilder Sprung war ihm entgangen.
    So schnell wie möglich begann die Ex-Vampirin tiefer zu klettern, hangelte sich von Ast zu Ast. Einmal blieb sie mit dem Kleid in einem Ast hängen; es ratschte kurz, und das Kleidungsstück war ein wenig moderner geworden, erfüllte aber immer noch jeden Zweck.
    Die letzten zwei Meter sprang sie.
    Das bekam der Wächter endlich mit, fuhr herum und starrte sie entgeistert an. »Wer sind Sie denn? Wo kommen Sie her?« stieß er hervor.
    »Von da«, erwiderte Tanja wahrheitsgemäß und deutete auf die Baumkrone. »Ich Jane! Du Tarzan?«
    Noch ehe der überraschte seine Fassung zurückgewinnen konnte, fällte sie ihn mit einem oft geübten Handkantenschlag. Er würde mindestens eine Stunde lang nicht ansprechbar sein.
    So schnell es das Kleid zuließ, eilte Tanja davon, um aúßer Sichtweite zu gelangen. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment drängten sich die Verfolger oben am Fenster…
    ***
    Die letzten Geräusche erstarben. Sieben Gestalten, richteten sich wieder auf und sahen dorthin, wo Sanguinus wartete. Das Werk war vollbracht.
    Geht und wartet auf die Nacht! befahl Sanguinus und zog sich zurück.
    Sie waren sieben, und sie würden sieben bleiben. Und als die Sonne aufflammte wie ein gleißendes Fanal und die letzten Nebelfahnen vertrieb, da waren sie nicht mehr im Burghof. Nur die zerfallenden, zerbröckelnden Leichen derer, die gekommen waren, um zu pfählen und nun selbst gepfählt worden waren, blieben zurück.
    Zerfielen zu Staub.
    Und Wind kam auf und trieb die Staubschleier davon. In den Tiefen der Blutburg, in schwärzester Dunkelheit, schlossen sich leise knarrend die schweren, massiven Deckel uralter Särge.
    Die sieben waren in die Tiefe zurückgekehrt, um auf die Nacht zu warten.
    ***
    Tanja hütete sich, die offene Straße zu betreten. In Dörfern wie diesem kannte jeder jeden, und deshalb würde jeder, der sie zufällig sah, sie sofort als Fremde erkennen. Und dann ging alles wieder von vorn los. Daß sie eine Vampirin war, würde in spätestens zehn Minuten ohnehin jeder wissen, selbst Grandma Smith, denn die Umlaufgeschwindigkeit von Gerüchten und Neuigkeiten stand im umgekehrten Verhältnis zur Bevölkerungszahl.
    Tanja schlich sich also durch Gärten und Hinterhöfe, hielt sich im Schatten des Buschwerks und wagte nur hin und wieder einen Orientierungsblick in Richtung Straße. Daß so früh morgens noch wenige Leute draußen waren - außer jenen, die auf Vampirjagd waren -, kam ihr zugute. Aber auch von den Fenstern aus konnte sie gesehen werden…
    Plötzlich sah sie die Telefonzelle.
    Ihr Herz machte einen Sprung. Wenn die jetzt wirklich funktionierte… Tanja schob sich aus ihrer Deckung hervor, eilte über die Straße und verschwand in der kleinen Kabine.
    Sie mußte Zamorra herbeirufen. Er mußte ihr helfen. Der Ausgangspunkt des Rufes, der sie hergelockt hatte, war Zentrum des Bösen. Eine Gefahr lauerte dort, und sie lauerte nicht nur auf Tanja.
    Zamorra… er wohnt ein Frankreich, im Château Montagne. Also ein Auslandstelefonat.
    »Ups«, murmelte sie und tastete über das glatte Kleid. Nirgends eine Tasche, und selbst wenn es eine gegeben hätte -es hätte ein unwahrscheinlicher Zufall sein müssen, wenn sich Geld darin befunden hätte.
    Es war einer der Gründe, aus denen Tanja privat nie Kleider, sondern stets Hosen trug. Die hatten wenigstens Taschen und waren praktisch. Man konnte Geld darin verstauen.
    Ohne Geld kein Telefonat.
    Erbittert starrte sie den Sprechapparat an. Warum mußte in dieser Welt alles auf Geld aufgebaut sein? Warum konnte man nicht mit Kieselsteinen bezahlen: Davon gab’s genug.
    »Aber ich muß Zamorra erreichen«, murmelte sie und lehnte sich mit der Stirn an das Gerät. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, mit ihm in Kontakt zu treten!
    Es mußte… der Anschluß mußte Zustandekommen…
    Und leise, ganz leise klickte es.
    Tanja fuhr auf. Sie starrte den