0215 - Kugeln pfeifen Todeslieder
seiner Bewegung. Ich folgte seinem Beispiel, hob die linke Faust und stieß sie zweimal nach oben in die Luft: Kommen!
Leise Schritte in meinem Rücken, hastige, schnelle Schritte. Dann tauchte der Bulldoggenmann weiter rechts von mir auf, lief drei, vier Yard über mich hinaus und ging seinerseits in Deckung.
Noch zweimal wechselten wir uns ab. Dann hielt ich es nicht mehr aus und verlängerte meinen nächsten Spurt so weit, daß ich bis an die höchste Stelle des Einschnittes kam. Ich warf mich hin, kroch auf allen vieren weiter und riskierte es, den Kopf zu heben.
Gleich darauf stand ich auf. Alles in mir war leer, tot, ausgestorben, erledigt. Sie hatten die Schlucht in Windeseile geräumt,. Ungefähr fünfunddreißig Wagen standen herum. Aber kein einziger Mensch war zu sehen. Über der Schlucht kreisten wieder Geier und ein Bussard. Ihr heiseres Krächzen jagte mir kalte Schauer den Rücken hinab.
***
»Sie sollten sich wirklich hinlegen, Cotton«, sagte Mutherfield. Er blickte mich selber aus geröteten Augen an.
»Wie spät ist es denn?« fragte ich.
»Gleich drei. In einer Stunde wird es draußen schon langsam wieder hell.«
Ich drehte den Kopf, weil ich das grelle Licht der Deckenlampe nicht mehr ertragen konnte.
»Haben wir noch Kaffee?« fragte ich.
»Sicher«, sagte Mutherfield. Er stand auf und ging hinüber zum Tisch, wo die große Blechkanne stand. Er schenkte eine Tasse voll und brachte sie mir herüber. »Da«, sagte er dabei. »Da, Cotton. Lassen Sie den Kopf nicht hängen. Es ist ja noch Hoffnung. Wenn sie ihn im Tal erschossen hätten, wäre seine Leiche dort gewesen. Sie hatten bestimmt genug zu schleppen, daß sie sich nicht auch noch mit einer Leiche abgeben konnten.«
Das hatte ich mir selber schon tausendmal gesagt. Aber Wußte man’s? Und da war ja auch noch das Kind…
Die Musik im Radio dudelte leise vor sich hin. Die ganze Nacht schon. Seit halb acht, seit wir zurückgekommen waren. Inzwischen hatten Mutherfield und ich an die vierzig Telefongespräche geführt. Und hundertmal über der Karte gebrütet. Hubschrauber von der State Police erhalten und nichts mit ihnen anfangen können. Weil es dunkel war. Wir mußten warten, bis es hell wurde…
Gleich würde der Sprecher im Radio wieder seinen Vers herunterbeten. Einen Text an die Adresse von Gangstern. Von Leuten, die notfalls für Geld mordeten. Oder was war es sonst, was sie taten? Wurde aus einem Mord etwa kein Mord, wenn man ein bißchen Brimborium dabei aufführte?
Die Musik brach ab. Einen Augenblick war es so still in unserem Raum, daß die Stille wie greifbar erschien und schwer auf uns lastete.
»Achtung, Achtung!« sagte die Stimme des Radiosprechers. »Wir rufen die Männer, die gestern im Laufe des späten Vormittags den grün-weißen Buick CE 5624 gestohlen haben! Bitte, hören Sie! Hier ist eine wichtige Meldung für Sie! In dem Wagen befindet sich ein elfjähriges Mädchen, das schnell operiert werden muß. Jede Stunde kann für ihr Leben kostbar sein! Bitte, bringen Sie das Mädchen zur nächsten Farm oder zum nächsten Haus, das an Ihrer Straße liegt! Die ganze Bevölkerung ist aufgerufen, Ihnen keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten! Achtung! Achtung! Ladies und Gentlemen! Sie haben diesen Aufruf gehört. Wenn Ihnen das Mädchen gebracht wird, warten Sie, bis die Männer weggefahren sind. Danach rufen Sie den nächsten Krankenwagen, damit das Kind unverzüglich in ein Hospital überführt werden kann. Es handelt sich um das Leben eines unschuldigen Kindes! Bedenken Sie das! Ein Autodiebstahl ist nicht zu vergleichen mit dem Mord an einem unschuldigen Kind! Wir appellieren an Ihre Menschlichkeit! Ich wiederhole den Ausruf…«
Ich kannte ihn bereits auswendig. Er wurde dreimal in jeder Stunde gesendet. Von allen Rundfunkstationen der Nordküste bis hinein in den mittleren Westen. Und auf allen Frequenzen, die überhaupt noch sendeten.
Vielleicht hatte dieser Aufruf Erfolg. Halb und halb war er ja schon das Versprechen, daß man die Ablieferung des Kindes nicht als Gelegenheit benutzen wollte, die Gangster zu stellen. Aber was würde inzwischen mit Phil geschehen? Er war kein Kind. Er war ein G-man. Für ihn konnte man derartige Aufrufe nicht von Stapel lassen. Es war sein Beruf, ein solches Risiko zu laufen. Dafür wurde er bezahlt. Sein Job. Ein G-man…
Bezahlt mit einem mittleren Beamtengehalt und der Aussicht auf eine Pension, die noch ein bißchen geringer als das Gehalt sein würde. Wenn er
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