0215 - Kugeln pfeifen Todeslieder
ich, daß der Farmer Hillery Martens mit seiner Frau im Hintergrund der offenstehenden Zelle neben der Pritsche stand, auf die man die beiden toten Männer aus dem Jeep gelegt hatte. Ich drehte mich schon um und lief zur Tür, als das Telefon rasselte. Unwillkürlich blieb ich stehen und sah fragend auf Mutherfield, der den Hörer genommen hatte.
Sein Schnauzbart bewegte sich auf eine bestürzende Art. Er nickte ein paarmal und sagte eintönig immer wieder: »Ja, ich habe verstanden. Ja.« Als er den Hörer sinken ließ, sagte er heiser: »Es ist ein grün-weißer Buick gestohlen worden, in dem ein elfjähriges Mädchen sitzt. Das Mädchen ist gelähmt. Und es muß außerdem schnell in ein Krankenhaus wegen einer Blinddarmoperation…«
Ich runzelte die Stirn. Es dauerte zwei Sekunden, bis ich diese Meldung verdaut hatte. Dann spürte ich, wie sich zu dem Kloß, der sich in meinem Magen zusammengeballt hatte, in der Brust etwas Ähnliches bildete, etwas, das wie eine schwere Faust auf meinem Herzen lag und gleichzeitig wie ein zu enger Panzer um meine Brust.
»Den Buick finden wir bestimmt oben in der Schlucht«, stieß ich rauh hervor. »Hoffentlich auch das Mädchen…«
Einen Herzschlag war es totenstill. Die Gesichter der Männer aus dem Büro des District Sheriff glichen steinernen Masken. Ihre Blicke waren hart. Bei manchem zuckten nervös die geballten Fäuste.
»Also, los!« sagte der Sheriff. »Worauf warten wir noch?«
Wir setzten uns in Bewegung. An der Tür gab es ein Gedränge. Wir quollen ins Freie wie ein Schwarm Fische aus der engen Schlinge eines prallen Netzes. Erst jetzt fiel mir überhaupt auf, daß vor dem Office von Mutherfield nicht nur ungewöhnlich viele Autos standen, sondern auch eine Menge neugieriger Leute die Köpfe reckte.
»Kommen Sie mit in meinen Wagen, Cotton!« rief der Sheriff. »Dann können Sie mir unterwegs noch mehr Einzelheiten erklären.«
»Okay, Sheriff!«
Ich kletterte in ein Gefährt, von dem ich nicht einmal mehr weiß, ob es ein Ford, ein Mercury oder ein Chevrolet war. Jedenfalls war es ein Auto. Der Sheriff setzte sich selber ans Steuer, und er schaltete Rotlicht und Sirene ein. Sie klang wie Musik in meinen Ohren. Trotzdem hätte ich am liebsten die Glasscheibe mit der Faust eingeschlagen und die Zeiger der Uhr am Armaturenbrett festgehalten.
Auch die längste Fahrt hat einmal ein Ende. Eine halbe Meile vor der Schlucht stiegen wir aus. Der Sheriff gab seine Anweisungen, wie die Schlucht teilweise zu umstellen sei. Dann machten wir uns auf die Strümpfe. Der Sheriff und ich blieben zusammen.
Halb geduckt und auf leisen Sohlen eilten wir durch den Wald. Ein einziges Mal überfiel mich der furchtbare Gedanke, wann es krachen würde, wann eine Gewehrsalve uns entgegenhallte und verkünden würde, daß wir zu spät… Aber dann verbannte ich diesen Gedanken aus meinem Hirn und konzentrierte mich auf die Aufgabe, lautlos so nahe wie möglich an die Schlucht heranzukommen.
Wir durchquerten den Wald, von Baum zu Baum huschend, wie Soldaten in einem Krieg. Wie richtige, gute, ehrliche Soldaten. Und im Grunde ist ein G-man ja auch so etwas wie ein Soldat. Ein Soldat in einem Krieg, der nie zu Ende geht. Im Krieg der Gerechtigkeit gegen Brutalität und Terror, an der Front des Gesetzes gegen Raub, Mord und Schlimmeres.
Am Waldrand blieben wir ein paar Sekunden in der Deckung der letzten Bäume und peilten die Lage. Vor uns stieg das Geröllfeld leicht an, bis hinauf zu dem Einschnitt in den Felsen, der den einzigen noch offenen Zugang zur Schlucht bildete. Den einzigen größeren Zugang.
Alles war still. Nur ein paar Vögel zwitscherten entfernt. Die Sonne stand tief, und die Hitze hatte noch nicht um ein Grad nachgelassen. Sie lag schwer und brütend wie eine Glocke aus flimmernder Glut über dem Land. Ich sah schwach ein paar Profilspuren da, wo es im Geröllfeld vor dem Eingang zur Schlucht ein paar sandige Stellen gab.
»Wir teilen uns hier!« raunte der Sheriff. »Von mir aus geht’s nach links. Von Ihnen aus nach rechts an die Felsen heran.«
»Okay«, nickte ich und wandte den Kopf, um es dem Mann weiterzusagen, der rechts von mir stand. Er war ein schwerer, gewichtiger Bursche mit dem Gesicht einer Bulldogge. Er nickte nur auf meine Worte.
Wir preschten vor. Geduckt, schnell, leise. Ich sah, wie sich der Sheriff ungefähr auf halbem Wege hinter einen Felsbrocken warf. Oder besser: sich hingleiten ließ, denn man hörte nur ein leises Scharren von
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