022 - Ich der Vampir
vorzustellen, was geschah.
Er war sicher, dass sie das Mädchen töten würden, und er kämpfte verzweifelt gegen seine Lähmung an. Es blieb nicht mehr viel Zeit, ihr zu helfen. Wenn Freddie von ihr abließ, würde der andere sie fertigmachen, und sicher nicht auf die schnelle Art. Er biss die Zähne zusammen, aber selbst das gelang nicht.
Er hoffte, dass es stimmte, was der eine gesagt hatte, nämlich, dass es bald dunkel wurde. Wenn seine Krankheit tatsächlich mit der Sonne zusammenhing, dann vielleicht auch diese Lähmung. Vielleicht hörte sie auf, wenn die Sonne unterging. Es drang kaum noch Licht durch die hohen Wipfel.
Er wusste nicht, wieviel Zeit verging. Manchmal spürte er, dass er sich leicht bewegen konnte und schöpfte Hoffnung. Es gelang ihm, den Griff am Lenkrad zu lockern. Er hatte beide Hände am Volant. Sie glitten Zentimeter um Zentimeter an der Krümmung nach unten. Wenn es ihm gelang, den Zündschlüssel zu erreichen und zu drehen,
und mit der anderen Hand die Hupe zu betätigen, vermochte das die Männer genügend zu erschrecken, dass sie die Flucht ergriffen. Andererseits mochten sie von der kühlen Sorte sein, die nicht den Kopf verloren. Die Chancen standen ebenso fünfzig zu fünfzig, dass sie die Kleine noch rasch erledigten, bevor sie das Weite suchten.
Wie zur Bestätigung seiner Überlegungen, erklang plötzlich Freddies Stimme: „Schade, dass du sie schon so zugerichtet hast. Die könnte ich öfter brauchen!“ Es klang bedauernd. „Du verlangst doch nicht, dass ich zusehe, oder?“
„Nein, nein“, erwiderte der andere mit gepresster, erregter Stimme. „Geh nur!“
Gleich darauf begann das Mädchen zu wimmern. „Nein – bitte – nein – nein!“ Ein lang gezogener Schrei folgte, der Vick neue Energie gab. Er ließ mit der Rechten das Lenkrad los. Seine Hand fiel wie Blei nach unten und fing sich am Schlüssel. Vielleicht hatte die Lähmung bereits nachgelassen, vielleicht verliehen ihm die verzweifelten Schreie des Mädchens genügend Kraft, dass er den Schlüssel drehen konnte. Er schob seine linke Hand auf die Hupe. Ihr Gewicht reichte aus. Der Ton kam wie eine Erlösung. Es klang unsagbar laut in der Einsamkeit des Waldes. Einmal brach der Ton ab. In der Stille war kein Geräusch zu vernehmen. Er wusste nicht, ob die beiden Verbrecher geflohen waren.
Dann setzte die Hupe erneut ein und brach für Minuten die Stille – bis die Hand nach unten glitt und in Vicks Schoß fiel.
Es war fast dunkel. Vick lauschte. Er spürte die Kräfte wiederkehren, war aber immer noch zu schwach, seinen Körper zu bewegen. Sein Blickfeld veränderte sich. Er konnte die Augen drehen. Es bedeutete keine große Erweiterung des Sichtfeldes, aber es war gut, wieder etwas rühren zu können, Herr über etwas zu sein.
Das Knacken eines Zweiges unterbrach seine Gedanken. Kamen sie? Er spürte Angst. Er war hilflos. Unterholz raschelte. Vicks Blick fiel in den Rückspiegel.
Er sah das Mädchen. Sie taumelte auf den Wagen zu. Er hörte auch ihr qualvolles Stöhnen, ihre bittenden Rufe um Hilfe, die nun schwach und leise waren.
Sie war über und über mit Blut bedeckt. Das Kleid, oder was immer es gewesen sein mochte, das sie angehabt hatte, hing in Fetzen von ihr, das blonde, schulterlange Haar verdeckte in blutgetränkten Strähnen ihr Gesicht.
Sie fiel mehrmals, ehe sie den Wagen erreichte. Vick spürte es, wie sie gegen den Wagen taumelte und sich daran festhielt.
Dann war ihr Wimmern ganz nah, und Vick war es, als müsse er sich verkriechen vor diesen Lauten. Es war unerträglich. Sie stammelte unverständliche Worte.
Es gelang ihm, die Hand zu heben, aber es ging über seine Kraft die Tür zu öffnen. Doch sie kam, die Kraft kam! Er spürte wie er erwachte – von innen heraus.
Das Mädchen sank gegen die Tür. Ihr Körper presste sich an die Scheiben und beschmierte sie mit Blut.
Trotz seines Mitleids und seines Grauens war ihm, als belebe ihn der Anblick des Blutes. Er starrte fasziniert darauf. Mühsam kurbelte er das Fenster nach unten, und der Oberkörper des Mädchens sank haltlos ins Wageninnere.
Vick bemerkte, dass ihre Hände auf den Rücken gebunden waren. Dann sah er genau, was sie mit ihr gemacht hatten. Tiefe Schnitte zogen sich über ihren Oberkörper. An Rücken und Brüsten und an den Armen floss ein steter Strom von Blut aus tiefen Wunden.
Es war nun unmöglich, die Tür zu öffnen. Er versuchte, an ihre gefesselten Hände heranzukommen. Es währte eine
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