022 - Ich der Vampir
Ewigkeit, bis er den Strick gelöst hatte.
Danach war er schwach vor Hunger und Erschöpfung. Das Mädchen lag leise stöhnend auf ihm. Ihre Hände schienen ihr nicht mehr zu gehorchen. Wahrscheinlich hatte sie zuviel Blut verloren. Es erschien ihm wie ein Wunder, dass sie es überhaupt
noch bis zu seinem Wagen geschafft hatte.
Während er erschöpft innehielt, um Kräfte zu sammeln und das Mädchen und sich aus dieser unerfreulichen Lage zu befreien, legte er beruhigend die Arme um sie – vorsichtig, um keine ihrer Wunden zu berühren. Doch das Blut rann unentwegt aus ihnen. Ohne dass es ihm voll bewusst war, hatte er plötzlich seine Lippen darauf gepresst und trank.
Es war noch warm und von einer unglaublich belebenden Wirkung, ein magisches Mittel, das die letzte Starre und Kraftlosigkeit aus seinem Körper trieb. Er genoss es. Er ließ sich Zeit.
Dann ließ er die Tote langsam aus dem Wagenfenster gleiten und saß einen Augenblick in trunkener Reglosigkeit.
Der Hunger war verschwunden; ebenso die Starre. Er fühlte sich satt und frisch und nur von einem Wunsch beseelt: Katalin wieder zu sehen.
Langsam wich der rauschartige Zustand. Seine Kleider fühlten sich an, als hätte er sich in Blut gewälzt. Sie waren klebrig. Der Geruch des geronnenen Blutes verursachte ihm Ekel. Es war überall am Wagen – an den Scheiben.
Er stieß die Tür auf und taumelte über die Leiche des Mädchens. Jetzt, da die Haarsträhnen nicht mehr ins Gesicht hingen, sah er, dass sie hübsch war und jung, sechzehn vielleicht.
Angst packte ihn plötzlich. Er musste verschwinden. Wenn ihn jemand so fand, würde ihm alles Leugnen nicht helfen. Allein das
Blut überall an ihm stempelte ihn zum Mörder.
Hastig öffnete er den Kofferraum, nahm einen Lappen heraus und fing an, das Blut von den Sitzen und Armaturen zu wischen.
Es war eine mühsame Arbeit, und die Zeit drängte. Schließlich war wenigstens der Sitz so sauber, dass er nicht befürchten musste, seine Kleider erneut zu beschmutzen. Den Rest konnte er an irgendeinem Rastplatz der Autobahn erledigen.
Nun zog er die Leiche des Mädchens in dichteres Unterholz und bedeckte sie mit Ästen.
Dann zog er seine blutgetränkten Kleider aus und stopfte sie in einen Nylonbeutel. Zehn Minuten später war er umgezogen.
Seine Nerven beruhigten sich ein wenig, als der Wagen die schmale Straße aufwärts zur Autobahn rollte. Nun konnte ihn nichts mehr aufhalten.
Erst während der monotonen Autofahrt auf der Autobahn kam
ihm voll zum Bewusstsein, was eigentlich geschehen war.
Und es war nicht einmal so sehr der Mord, der ihn erschreckte, sondern jene Augenblicke nachher in seinem Wagen. Gewiss, das Mädchen war bereits tot gewesen.
Aber er hatte ihr Blut getrunken!
Er war krank, gewiss! Und es gab nur einen Namen für seine Krankheit:
Vampirismus!
Als er an der gegenüberliegenden Fahrbahnseite Max’ Servicestation auftauchen sah, kämpfte er noch immer gegen die Übelkeit, die mit jedem neuen
Gedanken an das Blut in seinem Magen aufwallte.
Alle seine Überlegungen führten am Ende zu Katalin. Da war dieses unleugbare Verlangen, zu ihr zurückzukehren. Es war nicht normal, denn jede Faser seines Bewusstseins hämmerte ihm ein, dass nur sie schuld an seinem Zustand sein konnte. Er war nicht krank gewesen in ihrem Haus – nur in ihrer Gewalt. Wenn es tatsächlich so etwas wie Vampire gab – und er lieferte deutlichen Beweis dafür –, dann hatte sie ihn dazu gemacht.
Es schien ihm, dass alles zusammenpasste, soweit ihm die Legende vertraut war. Die vernichtende Wirkung der Sonne und des Tageslichts. Er war zwar nicht zu Staub zerfallen, aber in eine tödliche Starre versunken. Er trank Blut. Ja, es schien etwas Wahres an den alten Erzählungen.
Aber sie stimmten nicht in allen Dingen, denn er war nicht tot. Er war nicht gestorben und nach dem Tod wiedererwacht. Sein Herz schlug. Er atmete. Er lebte also im physischen Sinn. Dennoch war der Keim in ihm. Vielleicht war sein Prozess noch nicht abgeschlossen, und er starb während der nächsten Tage in Katalins Armen.
Sie besaß Macht über ihn, das spürte er. Das fürchtete er!
Geraume Zeit spielte er mit dem Gedanken, seine unnatürliche Sehnsucht nach ihr zu ignorieren und weiterzufahren – nach Hause. Aber er verwarf ihn wieder – so verlockend er war. Sein Leben würde nun völlig anders verlaufen, mit diesem bestialischen Hunger, der gestillt werden sollte. Nirgendwo würde er lange Zeit sicher
Weitere Kostenlose Bücher