022 - Ich der Vampir
Tür warf, diesmal mit der ganzen Kraft seines Körpers. Doch so alt dieses Haus auch sein mochte, die Tür gab nicht einmal ein Knarren von sich.
Vandermann kam wieder in Vicks Blickfeld. „Warten wir also erst einmal ab“, versuchte er sich selbst zu beruhigen, entdeckte aber das Fenster und versuchte die Läden zu öffnen. Er stieß auf die gleichen Schwierigkeiten wie Vick schon früher. Als er ihn schließlich offen hatte, musste er erkennen, dass ein Hinaussteigen aus dieser Höhe unmöglich war.
Vick bemerkte die ziemlich fortgeschrittene Dämmerung.
Vandermann sprang zur Seite, und der Laden schnappte mit bösartiger Vehemenz zu. Nach einer weiteren fruchtlosen Erkundung des Zimmers kehrte Vandermann zu dem großen Bett zurück, auf dem Vick Danner lag.
Vick las Resignation in den Augen des anderen und Bedauern. „Tut mir leid“, murmelte Vandermann. „Tut mir wirklich leid, dass es so plötzlich ein Ende nehmen musste, jetzt wo der Rubel endlich rollt. Wie bist du nur in diese Schlangengrube geraten? Das Mädchen, hm? Man kann’s dir nicht verdenken, alter Junge. Sie hat schon, was man so braucht. Wenn deine Geschichte nicht so verdammt verrückt geklungen hätte, wäre ich nicht hinterher gerast, als mir der Hotelportier mitten in der Nacht erklärte, Herr Danner hätte es plötzlich verflixt eilig, sich aus dem Staub zu machen. Ich wollte mir die Kleine ansehen, die du dir da aufgegabelt hattest. Und jetzt bin ich nicht mehr so sicher, ob das besonders klug war.“ Er unterbrach seinen Monolog und sah sich unsicher um. „Das ist schon eine besondere Art von Klapsmühle hier.“
Er lachte kurz auf, aber es klang dünn vor Furcht. „Diese Uhr im Korridor, sie tickt und tickt, und der Teufel weiß, wozu. Sie hat nicht einmal Zeiger.“ Er versank in Grübeln. „Und das Mädchen“, fuhr er grübelnd fort, „wenn sie einen ansieht, blickt man in einen Abgrund. Man beginnt zu fallen.“ Er wandte sich zu Vick um mit großen Augen. „Ist das das Ende?“
Die Nacht begann, und Vick fühlte, wie der Griff der Starre sich lockerte. Es war keine Wärme, die in seinen Körper kroch, nur eine seltsame Kraft. Er spürte wohl die Kälte, aber er fror nicht.
Seine Lider zuckten in einem ersten Erwachen des Körpers.
Vandermann bemerkte es.
„Danner!“ entfuhr es ihm.
Vick schloss die Augen und genoss das Erwachen. Er ballte die Fäuste und setzte sich mit einem Ruck auf.
„Danner“, stammelte Vandermann heiser. „Wie ist das möglich? Sie waren kalt und steif! Wenn ich in meinem Leben jemals einen Toten angefasst habe, waren Sie es!“
Vick kümmerte sich nicht darum, was der andere sagte. Er machte zwei wesentliche Entdeckungen. Er atmete nicht! Sein Herz schlug nicht!
Er war tot!
Er war wahrhaftig tot! Und dennoch saß er hier, und dachte und fühlte. Er öffnete die Augen und starrte in Vandermanns entgeistertes Gesicht. Er maß ihn ohne Freundlichkeit, ohne jede Empfindung. Das erschreckte ihn. Aber nicht sehr. Es war, als wäre es ihm etwas Fremdes, zu erschrecken.
Vandermann weckte zudem noch etwas ganz anderes in ihm.
Den Hunger.
„Danner!“ Vandermann ergriff ihn an den Schultern und schüttelte ihn. „Sie sehen mich an, als …“ Er brach ab, als ihm auffiel, was Vick bereits wusste: Dass Vick Danner tot war!
Er starrte ihn mit offenem Mund an und würgte hervor: „Mensch, sagen Sie etwas, Danner!“
Vick schüttelte mit einer ungeduldigen Geste seine Hände ab und stand auf. Er trat zum Fenster. Die Läden öffneten sich leicht unter dem Druck seiner Hand. Die kühle Nachtluft strömte in den Raum.
Vandermann fröstelte, aber es war nicht die Luft, sondern die Furcht, die ihn zittern ließ. War das noch Viktor Danner, der am Fenster stand?
Vick beobachtete Vandermann von der Seite. In diesem Augenblick war er für ihn weder ein Fremder, noch ein Bekannter, auch nicht sein Agent.
Nur seine Beute! Er riss sich gewaltsam von dem Anblick los. Seine Erinnerung ließ momentan die Gespenster menschlicher Gefühle in ihm auftauchen: Abscheu, Furcht, Erleichterung darüber, dass noch nicht alles Leben vergessen war. Irgendwo in ihm klammerte sich noch der Mensch, Viktor Danner, an sein Bewusstsein. Aber er war schwach und bedeutungslos. Die Moral der Lebenden ergab nun keinen Sinn mehr. Vick hatte jetzt andere Nöte…
Er brauchte Blut, und offenbar war es gleichgültig, wessen Blut es war. Der Hunger machte keinen Unterschied.
„Gehen Sie, Vandermann“, sagte er mühsam.
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