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mit den Aufgaben begann, die sie sich als Herrin von Harlowe selbst auferlegt hatte.
Graf Richard hatte geschrieben, er habe Glynis gefunden, und sie hätten ihr vor Jahren abgelegtes Gelöbnis erneuert. Er rechne damit, sie zum Weihnachtsfest nach Harlowe zu bringen, habe jedoch zunächst vor, an den Hof des Herzogs der Normandie zu ziehen und dort bei Courteheuse für Roger einzutreten. Eleanor seufzte und befingerte die vielen Schlüssel, die an einem Eisenring an ihrem Gürtel hingen, die Symbole ihrer vorübergehenden Macht in Harlowe. Sie konnte es kaum erwarten, sie dem rechtmäßigen Besitzer wieder auszuhändigen. Zuerst war es für ein im Kloster aufgewachsenes Mädchen schwierig, fast unmöglich gewesen, die Pflichten eines Burghaushaltes, der fast die Ausmaße einer kleinen umfriedeten Stadt hatte, zu bewältigen. Jetzt jedoch fühlte Eleanor sich sehr wohl dazu in der Lage, den Haushalt ihres Gemahls zu leiten, sobald sie und Roger imstande waren, auf seine Ländereien zurückzukehren.
Graf Richard hatte ihren Vater nicht erwähnt, doch sie nahm an, man könne nicht von ihm erwarten, in Anbetracht dessen, was er Glynis in der Vergangenheit angetan hatte, irgendeinen Kontakt mit Gilbert de Nantes gehabt zu haben. Gilbert hatte ganz gewiss nicht geruht, auf ihren Brief zu antworten, in dem sie ihm die Hochzeit mit Roger mitgeteilt hatte. Sie konnte sich seine Reaktion jedoch sehr gut vorstellen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass er ein abscheulicher Vater gewesen war und sie ohnehin nie geliebt hatte.
Ihre Gedanken wandten sich wieder Roger zu, während sie ein kurzes Dankgebet dafür sprach, dass er sie liebte. Nach all den Jahren der Einsamkeit und des Elends hatte sie es nicht für möglich gehalten, je so glücklich sein zu können. Jeder Tag schien, was Rogers Güte, seine Freundlichkeit und seine Liebe betraf, eine neue Entdeckung mit sich zu bringen. Und Roger schätzte sie nicht nur, weil sie eine Frau war. Kaum eine Woche zuvor hatte er sie mit dem Kastellan von Harlowe ausgeschickt, damit sie im örtlichen Gericht in seinem Namen Recht sprach, während er nach Stamford geritten war, um sich mit William Rufus zu treffen.
Nur zwei nagende Befürchtungen lasteten auf ihrer Seele. Die erste war das Gefühl, dass sie von Robert de Belesme noch nicht das Letzte gehört hatte. Es hatte überhaupt keine Kunde gegeben, wie er auf ihre Ehe reagiert hatte. Sie konnte jedoch nicht glauben, er werde eine solche Beleidigung mit Anstand hinnehmen. Im Stillen rechnete sie halb damit, eines Morgens aufzuwachen und ihn mit einer Armee vor Harlowe kampieren zu sehen. Und die andere nagende Furcht, die sie insgeheim hatte, war, sie könne unfruchtbar sein, da sie bisher kein Kind empfangen hatte. Rogers Einstellung in diesem Punkt irritierte sie. Er hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, er sei froh, dass sie nicht guter Hoffnung sei.
Das Tor hinter ihr quietschte, und das Geräusch rief sie in die Wirklichkeit zurück.
Ralph d'Escrivet war gekommen, um ihre Befehle für die Leitung des Haushaltes zu erhalten, und falls er fand, es entbehre nicht einer gewissen Ironie, eine junge Frau in Bezug auf Dinge zu konsultieren, die er schon getan hatte, bevor sie geboren worden war, so verhielt er sich jedoch mehr als diplomatisch. Er gab sich väterlich, war geduldig, machte gelegentlich Vorschläge, befolgte indes Eleanors Anweisungen immer bis ins kleinste Detail.
„Mylady." Er sank vor der Bank auf ein Knie.
Eleanor streckte die Hand aus und ergriff seine stark geäderte Rechte. „Ich wünschte, du würdest das nicht tun, Sir
Ralph." Sie lächelte. „Komm, setz dich neben mich und erzähle mir, was wir heute zu tun haben." Sie fegte die Blätter neben sich von der Bank.
„Nun . . .", begann er, während er die alten Knochen aufrichtete und den von ihr angewiesenen Platz einnahm, „. . . da sind die Wintervorräte. Ich habe die Liste der Nahrungsmittel mitgebracht, die wir in den Lagerhäusern haben, Lady Eleanor."
Sie nahm die mit Zahlen übersäten Papiere und betrachtete sie kurz, ehe sie sie Sir Ralph zurückgab. „Aber du vermagst es besser als ich, die Bedürfnisse abzuschätzen, Sir, denn du hast hier viele Male den Winter verbracht."
„Und du bist die Hausherrin", erinnerte er sie mit sanftem Lächeln. „Hier, zum Vergleich habe ich eine Liste dessen mitgebracht, was wir im letzten Winter benötigt haben."
Auf Eleanor wirkte es, als seien ihre Besprechungen mit dem
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