0220 - Zum Dinner wird der Tod serviert
meisten Schlagzeilen. Ich verzichtete darauf, die Geschichten zu lesen. Wenn einer die Wahrheit davon wissen mußte, war ich es immerhin selber.
»Du könntest dir alle Tonbänder von den Vernehmungen gestern anhören«, schlug ich vor, »während ich mir oben im Archiv Bilderchen von lieben Mitmenschen ansehe. Wenn sie überhaupt im Album sind, finde ich sie auch allein. Und sind sie nicht drin, wäre es pure Zeitverschwendung, wenn wir beide blätterten.«
Phil nickte.
»Einverstanden. Wenn wir beide bis mittags noch nicht fertig sind, treffen wir uns Punkt eins unten in der Halle, um essen zu gehen.«
»Okay, Alter!«
Ich verließ das Office und begab mich mit dem Lift hinauf ins Dachgeschoß, wo außer unserer Lichtbildstelle auch das Archiv residiert. Räumlichkeiten von beachtlichem Ausmaß sind hier mit Karteikästen und dicken Alben vollgestopft. Man kann über alles Mögliche Auskunft erhalten, das im Zusammenhang mit Gangstern steht. Es gibt eine Kartei ihrer Spitznamen, eine Kartei, die nach ihren besonderen Kennzeichen, eine andere, die nach ihren besonderen Gewohnheiten angelegt ist — und so weiter.
Und dann gibt es unser ›Familienalbum‹. Dort sind alle kriminellen Zeitgenossen gleich mit drei Bildern festgehalten: eins von vom, eins von der Seite und das dritte von seitlich vorn. Natürlich gehören zu diesem Verbrecheralbum, das eine ganze Batterie von Bänden zählt, mehrere sinnvoll angelegte Kataloge, um es den suchenden Beamten zu ersparen, jedesmal alle Bände durchblättern zu müssen. Nach den verschiedensten Unterscheidungsmerkmalen sind Untergruppen zusammengefaßt.
Ich nahm mir also zuerst den Katalog vor und ließ meinen Finger über die Titel der Untergruppen gleiten. Es gab eine mit der Überschrift ›Klein, untersetzt, schwer‹. Dazu gehörten zwei Bände. Ich ließ mir die beiden dicken Schinken bringen und setzte mich an einen der Tische. Vier Kollegen hockten an anderen Tischen und blätterten in anderen Bänden des Albums Zigaretten qualmten in den Aschenbechern. Eine wohltuende Stille herrschte.
Nacheinander blätterte ich Seite für Seite um. Mein Blick glitt konzentriert über Gesichter, Gesichter, Gesichter. In regelmäßigen Abständen legte ich eine Pause ein, schloß die Augen und rief mir das Gesicht des Mannes ins Gedächtnis zurück, den ich suchte. Wenn man pausenlos andere Gesichter anstarrt, verblaßt allmählich die Erinnerung an das gesuchte, so daß man am Ende nicht mehr sicher ist, wie der Kerl eigentlich aussah, dem man gegenüberstand. Deshalb lernt man schon auf der FBI-Akademie, daß man bei so einer Suche immer wieder Pausen einlegen muß.
Es ist schon vorgekommen, daß Phil und ich einen ganzen Tag und dann auch noch ergebnislos im Archiv zubrachten. An diesem Vormittag hatte ich Glück Schon im ersten 'Band, den ich aufschlug fand ich ziemlich am Ende den Jungen, dem ich den Schlag auf den Hinterkopf zu verdanken hatte. Ich notierte mir die Bildnummer auf einem Zettel, nahm beide Bände wieder mit und übergab sie dem alten Kollegen, der hier im Archiv die Jahre bis zu seiner Pensionierung verbrachte.
»Gib mir bitte die Kartei dieses Burschen«, sagte ich und schob ihm den Zettel mit der Bildnummer hin.
»Okay, Jerry«, erwiderte der alte Joe. Er nahm die Fotoalben, brachte sie in das Regal zurück, wo sie hingehörten und schlurfte einen Gang zwischen schier endlosen Regalen hinab, die mit Karteikästen gefüllt waren.
Nach ein paar Minuten legte er mir die gewünschte Karteikarte hin. In seiner ruhigen Art deutete er wortlos mit dem Nagel des Zeigefingers auf eine rot unterstrichene Zeile der Karte. Dort Stand in Schreibmaschinenschrift:
Vorsicht! Stets bewaffnet!
»Das habe ich gemerkt«, brummte ich mit einem leichten Grinsen. Und dabei mußte ich unwillkürlich daran denken, wie leicht das gestern am späten Nachmittag hätte schief gehen können. Wenn die beiden nicht in höchster Zeitnot gewesen wären, weil es auf dem Flugplatz immerhin von Polizisten wimmelte und sie sich mit ihrer Flucht beeilen mußten, hätte es gut sein können, daß sie den Rest ihres Magazins leergeschossen hätten — auf Phil und mich.
Ich nahm mir die Karte und sah sie mir genauer an. Es gibt eine Spalte auf derlei Karten, in der die ständigen Komplicen und besonderen Freunde eines Gangsters eingetragen werden. Ich fand zwei Namen: Roger Caddis und Alberto Riggini.
»Hol mir doch bitte diese beiden Karten auch noch«, sagte ich zu Joe und zeigte ihm
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