0222 - Schlucht der stummen Götter
spitz zulaufenden Fahnenstange…
***
Benommen starrten Suko und ich auf den Toten. Wir sahen seinen Rücken und das Blut, das immer noch aus den großen Wunden sickerte und in Tropfen nach unten fiel. Hinein in einen Garten, der sich an die Rückseite des Hauses anschloß. Es war kein Zier- sondern ein Nutzgarten, bepflanzt mit Gemüse, Obst und Kartoffeln.
Die Fahnenstange begann dicht unter dem Fenster. Sie steckte in der Hauswand und wies schräg in die Höhe, jetzt allerdings war sie von dem Gewicht des Toten fast waagerecht gedrückt worden. Die Arme des Konstablers fielen zu beiden Seiten des Körpers nach unten und pendelten schwach hin und her.
»Sollen wir ihn hochhieven?« fragte Suko.
»Ja, wir können ihn nicht einfach dort hängenlassen.« Ich beugte mich bereits aus dem Fenster und streckte meine Arme aus.
Es war nicht einfach, den Toten von der Fahnenstange zu holen.
Mit großer Mühe nur gelang uns dies, und wir atmeten auf, als er endlich vor dem Fenster lag.
Suko drehte ihn auf den Rücken.
Ein seltsames Bild bot sich unseren Augen. Der Mann war tot, daran gab es keinen Zweifel. Nur wunderten wir uns über die Haut der Leiche. Sie zeigte einen grünlich blauen Schimmer, den wir bei einem Toten noch nie vorgefunden hatten. Dieser Schimmer hatte sich auf der gesamten Haut verteilt, er reichte bis über die Stirn und hörte erst am Ansatz der Haarwurzeln auf.
Wir schauten uns an und suchten gemeinsam nach einer Erklärung. Das blaue Skelett, etwas anderes kam für uns wirklich nicht in Frage.
»Aber wieso?« fragte Suko. »Weshalb wurde er umgebracht?«
Ich hob die Schultern. »Verlange nicht, daß ich mich in die Denkweise von Dämonen hineinversetze.«
»Armer Teufel«, murmelte der Chinese. »Das Monstrum im See hat er überstanden, aber dies hier…«
»… ist schlimmer«, vollendete ich und erhob mich aus meiner gebückten Haltung. Dabei fiel mir wieder die Wärme auf, die in das Zimmer gedrückt wurde.
Ich sprach mit Suko darüber.
»Ja, du hast recht. Jetzt, wo du es sagst, merke ich es auch. Seltsam, verflixt seltsam…«
»Das ist nicht normal.« Ich trat an das Fenster und schaute hinaus.
Wie Wüstenwind kam er mir vor. Im Garten bewegten sich die Zweige der Sträucher und auch die Blätter. Hinter einem Zaun sah ich eine Wiese. Jenseits davon lief ein schmaler Weg entlang, wo zwei Holzhäuser standen, die mir einen verfallenen Eindruck machten.
Mein Blick glitt höher und traf den Himmel.
Auch er hatte sich verändert. War er am frühen Morgen noch blau und später grau gewesen, so hatte er abermals die Farbe gewechselt.
Er schimmerte in einem seltsamen Grün, einer Mischung aus türkis und dunkelgrün.
Es war nicht die Folge einer natürlichen Ursache, das konnte mir keiner erzählen. So eine seltsame Farbe nahm nicht einmal der Himmel an, wenn ein Gewitter heranzog.
Das hatte ich noch nie gesehen. Wenigstens nicht auf dieser Welt, höchstens in einer anderen Dimension, und der schreckliche Verdacht kam mir ganz automatisch.
Sollten hier und heute Kräfte aus Welten eingreifen, die uns unbegreiflich waren? Ich dachte wieder an das blaue Skelett, an den geheimnisvollen Kristallschlüssel und automatisch auch an die Leichenstadt.
Warf sie möglicherweise ihre Schatten voraus?
Darüber redete ich auch mit Suko, und mein Freund bestätigte durch sein Nicken meine Annahme. Auch er war davon überzeugt, daß diese seltsame Veränderung des Lichts etwas mit der Leichenstadt zu tun haben mußte. Irgendwie konnte es da einen Zusammenhang geben, den wir allerdings noch nicht überschauten.
»Dann steht uns noch einiges bevor«, sagte der Chinese mit leiser Stimme, aus der ich deutlich den Pessimismus hervorhörte. Ihn kannte ich bei Suko sonst nicht.
Ich schaute auf den Toten. Die Hautfarbe hatte sich nicht verändert, sie war gleich geblieben. Nach wie vor schimmerte sie in diesem seltsamen Grün, für dessen Existenz ich noch keine Erklärung hatte.
»Wir können ihn nicht hier liegenlassen. Vielleicht gibt es hier einen Schreiner«, sagte ich. »Der kann den Mann wegschaffen.«
»Dann laß uns gehen.«
Wir verließen das Zimmer. Absolute Stille herrschte im Haus.
Auch im Innern des Hauses merkte ich, daß die Luft drückte. Etwas Unheimliches bahnte sich da an, es kam auf uns zu, aber noch war es nicht greifbar, sondern lag in nicht einsehbarer Ferne.
Wir durchquerten Post- und Polizeistation und traten durch die offenstehende Tür ins Freie.
Ohne uns großartig
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