0227 - Gefangen in der Totenstadt
Menschen zu verschlingen.
Das durfte nicht sein! Er mußte es verhindern.
Unter seinen wirbelnden Füßen glitt das uralte Pflaster der Via Appia Antica dahin. Aurelian hatte keinen Blick für das romantische Bild der zerfallenen Grabmäler und die den Weg säumenden Zypressen, die im Licht des Silbermondes badeten.
Vorwärts führte ihn sein Weg -vorwärts, seiner Bestimmung entgegen. Wie auch die anderen seines geheimen Ordens, die überall in der Welt unter den verschiedenen Tarnexistenzen darüber wachten, daß das Böse nicht übermächtig wurde, ging er hin, dem Höllenheer Schach zu bieten.
In den ewigen Waagschalen durften die Kräfte des Chaos nicht übermächtig werden.
Unter seinem Gewand wußte er eine sehr wirksame Waffe verborgen, vor der die Dämonen zitterten.
Damals, als der weise Magier von Avalon, Merlin, das Amulett geschaffen hatte und damit die Kräfte einer entarteten Sonne bändigte und konzentrierte, beschlossen die Hohen der Weißen Magie, etwas Gleichwertiges zu schaffen. Und mit all ihren Kräften und Künsten gingen sie ans Werk, um die Vollkommenheit jener Silberscheibe, die in diesen Tagen der Stern von Myrryan-ey-Llyrana genannt wurde, zu erreichen.
Überaus stark waren die positiven Zauberkräfte der Lichtwelt, die in dieses Relikt hineingearbeitet wurden. Aber es haftete ihm nicht die Kosmische Kraft an, die Merlin mit der geballten Macht seines Wissens beherrschte. Darum war seine Wirkung im Vergleich mit dem Amulett so wie die Schleuder eines Knaben zu den gewaltigen Bailisten, mit denen Felsbrocken geschleudert werden.
Dennoch gingen selbst Dämonenfürsten einer Auseinandersetzung mit diesem Relikt aus den Tagen der Alten aus dem Wege.
Pater Aurelian trat den höllischen Mächten nicht ohne Waffe entgegen…
***
»Hab’ ich dich wieder, kleines Mädchen!«
Wilder Triumph schwang in der Stimme mit. Aus den Augenwinkeln erkannte Sandra Jamis die Gestalt von Claudio Sejano, die sich im blakenden Schein ihrer fast verloschenen Fackel als Schattenriß im Gang abzeichnete.
Eine Silhouette, die das Grauen über ihren Körper rasen ließ.
Ein spitzer Schrei. Wut und Enttäuschung lagen darin. Und als Sandra diesen Schrei ausstieß, riß sie mit der Kraft der Verzweiflung ihren schlanken Körper noch einmal in die Höhe.
Das Unmögliche geschah. Die Angst vor dem Kommenden verlieh dem Mädchen aus Germany ungeahnte Kräfte.
Sie riß sich förmlich empor. Da - ihr Kopf hing bereits über dem Loch. Verzweifelt grapschte ihre rechte Hand umher. Sie mußte etwas finden, an dem sie sich endgültig aus dem Gefängnis herausziehen konnte.
Ihre Beine zappelten noch in der Luft. Jeden Moment konnte sie ihr Verfolger packen und erneut in das Reich des Grauens hinabreißen, um mit ihr zu machen, was ihm beliebte.
Sandra Jamis hatte gesehen, daß Sejano immer noch den scharfgeschliffenen Opferdolch bei sich hatte.
Da! - Das Glück war ihr hold. Ihre tastenden Fingerspitzen spürten die Berührung von Holz.
Eine Baumwurzel!
Ächzend schob das Mädchen ihren Oberkörper einige Zentimeter vor. Dann konnten ihre geschundenen Hände die Wurzel wie einen Rettungsanker umkammern.
Hinter sich verspürte sie förmlich die Ausstrahlung des Bösen, die von Sejano ausging. Fast spürte das Mädchen die ekelhafte Berührung mit der Hand, die eins ihrer Beine packen wollte, um sie wieder hinabzureißen.
Ein Aufbäumen des schlanken Mädchenkörpers. Kräfte, von denen Sandra nie etwas geahnt hatte, wurden aktiviert. Sie katapultierte sich förmlich aus dem Loch.
Ein Wutschrei von unten, der nichts Menschliches mehr an sich hatte. Es klang wie eine Mischung zwischen dem Hungerbrüllen eines Bengaltigers, dem heiseren Keckem einer Hyäne und dem Zischen eines Hochofens, wenn das glutflüssige Metall entweicht.
»Denke nicht, daß du mir entkommen kannst!« jagten die Worte aus der Tiefe das zu Tode erschöpfte Mädchen wieder auf. »Diese Öffnung in der Decke bietet für mich keine Probleme. Denn ich bin stärker und schneller! Ich kriege dich, Mädchen! Und dann gehörst du mir. Und unserem Großen Vater in der Tiefe!«
Nie in ihrem ganzen achtzehnjährigen Leben war Sandra Jamis soviel zugemutet worden. Einen Moment war sie nahe daran, einfach aufzugeben.
Denn der Verfolger war wirklich stärker und gewiß auch schneller! Es war alles aus. Liegenbleiben! - Schlafen! - Was nützte es, sich gegen das Schicksal zu wehren, das sie ja doch ereilen würde?
Schlafen! - Abschalten! - Einfach
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