0227 - Gefangen in der Totenstadt
nützt dir nichts, vor mir wegzulaufen. Du gehörst mir… !«
Claudio Sejano hatte seine Dämonenkräfte eingesetzt. Es galt, das Mädchen mit dieser Stimme zu zermürben. Denn Sejano wollte mit diesem Menschenkörper nicht mehr Anstrengung auf sich nehmen, als nötig war.
»Ich bin schneller als du, Mädchen! Und viel stärker! Denn ich bin gar kein Mensch!« drang die Stimme wieder in Sandras Gehirn, und sie war süß wie tröpfelnder Honig. »Ich gehöre zu denen, die neben dem Thron des gefallenen Lichtträgers stehen. Ich bin der Teufel, wie du es ausdrücken würdest. Oder einer der Teufel. Ich will dich! - Und ich bekomme dich! Und dann wirst du…!«
Sandra Jamis versuchte vergebens, nicht hinzuhören. Ihr eigener Zustand war katastrophal. Die bloßen Füße waren vom Laufen blutig geschunden. Um die nackten Beine zeichneten sich Striemen ab, wo das hohe Gras ihre Haut gepeitscht hatte.
Der Atem des Mädchens ging rasselnd. Mühsam schnappte es nach Luft. In der Magengegend rissen die Seitenstiche wie ein wildes Tier.
Nur der Wille zum »Vorwärts«, nur die Angst vor dem, was kommen würde, riß es voran.
»Aber kleines Mädchen!« war die Stimme wieder da. »Warum quälst du dich denn so? Glaubst du wirklich, dem Teufel entkommen zu können? Gleich habe ich dich. Nur noch wenige Meter… !«
Sandra Jamis venneinte, die eiskalte Hand Sejanos im Nacken zu verspüren. Der Pestatem des Dämons, den sie jetzt ganz deutlich wahrnahm, raubte ihr fast die letzte Kraft.
»Herr im Himmel! Hilf mir!« schrie ihr Innerstes.
Dann prallte sie gegen etwas Weiches.
***
Es war eine dunkle Gestalt, zu der Sandra Jamis mit verängstigten Augen emporblickte. Nach dem Aufprall war sie zu Boden gesunken.
Sie war am Ende ihrer körperlichen Kraft angelangt.
Mächtig ragte die Gestalt, die ihren Lauf so abrupt gebremst hatte, vor Sandra auf.
Grelles Wetterleuchten ließ Sandra ein Gesicht erkennen, dessen ebenmäßige Züge einer antiken Götterskulptur nachempfunden sein konnten. Und die Gestalt strahlte etwas aus, was Sandra Jamis so dringend brauchte.
Ruhe! Geborgenheit! Schutz!
»Bitte!« stammelte das Mädchen! »Bitte retten Sie mich. Er ist hinter mir her! Er will mich… - Der Teufel…!«
Beide Hände des Mädchens vergruben sich im groben Wollstoff der Gewandung.
Dann war er heran!
***
Abrupt bremste Claudio Sejano seinen Lauf.
Was wollte denn der hier? Einer von denen, die in den Kirchen zu Ehren dessen sangen, der den ehemaligen Erzengel Luzifer in die Tiefe geschleudert hatte.
Ein Mönch!
Wie, bei Beelzebubs Pferdefuß, kam dieser Vertreter der anderen Seite gerade jetzt hierher? Ausgerechnet einer von denen, die der Kirche die Treue geschworen hatten. Und die ihre Mitmenschen durch Gebet und Beispiel immer wieder auf den Pfad der Tugend zurückbrachten, so daß der Teufel das Nachsehen hatte.
Na gut! Der Mönch konnte ihn vielleicht einige Zeit aufhalten. Aber besiegen konnte er Sejano sicher nicht. Denn dies war seine Nacht.
Die Nacht des Dämons.
Ha! - Nun konnte er zwei Seelen als Beute hinwegraffen, daß sie vor Asmodis’ Thron für ihn zeugen konnten.
Denn der Dämon, der sich den Menschennamen Claudio Sejano gegeben hatte, war kein Dämon niederer Rangordnung, der von jedem Vertreter der Kirche besiegt und ausgetrieben werden konnte.
Jeder Exorzist würde sich an Sejano die Zähne ausbeißen.
Außerdem war es ja nicht sicher, ob sich dieser Mönch je mit Teufelsaustreibung beschäftigt hatte, zu der die Kirche ohnehin äußerst selten eine Dispens gab.
Ohne Vorbereitung aber war sein Gegner verloren.
Aber gemäß dem Alten Pakt, von dem selbst die Eingeweihten nicht wissen, ob er je niedergeschrieben wurde, mußte er sich dem Gegner in seiner ganzen Größe und Macht zeigen.
Wich dieser dann den höllischen Gewalten ohne Kampf, rettete er damit seine Seele und sein Leben.
Denn nach den Gesetzen des Unnennbaren soll niemand zu einem Kampf mit den Gewalten gezwungen werden, die der ewigen Verdammnis angehören.
Diese Regelungen des Alten Paktes mußten von dem Dämon auf jeden Fall eingehalten werden. Und so gab Claudio Sejano sein wirkliches Ego frei.
In einer abscheulichen Metamorphose wandelte er sich vom Mensch zum Dämon.
Gellend schrie Sandra Jamis auf, als die Gestalt Sejanos zu rauchen begann. Schmutziggelber Qualm drang aus dem ganzen Körper, ähnlich einem Menschen, der aus einer Sauna in einen kalten Raum geht. Rasende Windstöße trieben den Pestatem der
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