0227 - Gefangen in der Totenstadt
nicht mehr da sein.
Das war das Ende!
Das Ende?!
Nein! schrie es in ihr auf. Sie wollte noch nicht sterben. Sie war noch so jung. Achtzehn Jahre waren nicht genug. Auch ihre Freundin Tina hatte in Ägypten in einer solchen Situation gestanden. Sie gab nicht auf. Und sie überlebte. Und es war auch ihr Verdienst, daß die Leichenfresser von Luxor nie wieder ihr Unwesen treiben konnten.
Rascheln hinter ihr im Gras. Entsetzt sah sie den Kopf Sejanos auftauchen. Sie starrte in eine Fratze teuflischer Lust. Die Finger Sejanos griffen nach der Baumwurzel.
In den brennenden Augen des Dämons las Sandra Jamis ihr Schicksal. Ein Schicksal, das grausamer sein mochte als der Tod.
Sie sprang auf. Claudio Sejano sah die Gestalt des Mädchens mit den langen, dunklen Haaren vor sich emporwachsen. Dann kam etwas auf ihn zu. Sein Kopf wurde getroffen. Der Dämon wurde in die Finsternis der Katakombe zurückgeschleudert.
Mit aller Kraft hatte Sandra Jamis in die Teufelsfratze getreten. Dann wirbelte sie herum und floh. Sie lief einfach querfeldein, wie eine Gazelle, die von Raubtieren der Steppe gejagt wird.
Die Attacke dçs Mädchens hätte Claudio Sejano nichts ausgemacht, wäre er ihr in seiner Dämonengestalt gegenübergetreten. Aber er hatte seinen Körper behalten, der ihn den Menschen gleichsetzte. Das hatte den Vorteil, daß keiner in ihm einen Abgesandten der Schwarzen Familie vermuten konnte.
Der Nachteil war, daß er, wie jeder Mensch auch, Schmerz verspürte. Auch die anderen Sachen mußte er ertragen. Denn die Jagd nach dem Mädchen, die sein astraler Dämonenkörper im Bruchteil einer Sekunde erledigt hätte, hatte ihn erschöpft. Sein Atem ging keuchend. Auch er hatte viel Kraft aufwenden müssen, sich durch das Loch in der Decke zu hangeln.
Und dann der Schmerz, als ihn der Fuß des Mädchens traf, und der Aufprall auf dem harten Boden des Ganges. Claudio Sejano wünschte sich die menschliche Eigenschaft, richtig fluchen zu können. Denn in der Hölle ist ein Fluch das gleiche, als wenn ein Pfarrer zum Lobpreis des Allerhöchsten singt.
Der Schmerz brachte den Dämon erst richtig in Wut. Das sollte die kleine Närrin büßen. Tausendfach! Jetzt würde er die ihm vom Fürsten der Finsternis gegebene Macht voll ausspielen.
»Lauf nur, kleines Mädchen!« hörte Sandra Jamis hinter sich die Stimme des Dämons. »Du kannst mir nicht entkommen!«
***
Professor Zamorra spürte förmlich das Wirken des Dämons. Das Amulett an der Silberkette weit vor sich haltend, ließ er sich von Merlins Stern leiten.
In gleichmäßigem Dauerlauf glitten Kilometer auf Kilometer dahin. Professor Zamorra mußte an seinen Freund Michael Ullich denken, mit dem er schon einige Mal gegen die Gewalten der Finsternis gekämpft hatte. Der hätte als passionierter Langstreckenläufer diese wilde Jagd gleich als willkommene Trainingsstunde angesehen. Wer konnte wissen, was am Ende des Weges auf ihn wartete? Zamorra wäre jedenfalls froh gewesen, Michael Ullich jetzt als Kampfgefährten bei sich zu haben. Oder Nicole Duval…
***
Sturm fegte über das Land!
Rauschend wurde das lange Gras beidseitig der Via Appia an die dem Wind entgegengesetzte Seite gedrückt. Die schlanken Pinien ächzten unter der Gewalt des Orkans.
Heulend fegte der Sturm durch die Ruinen der alten Grabmäler und orgelte eine gräßliche Melodie. Es klang wie das Wehgeheul der verdammten Seelen im Schwefelpfuhl der Hölle.
Für den Bruchteil eines Herzschlags wurde der Himmel in der Feme schwefelgelb erleuchtet. Fahlhell zuckte es auf und ließ die Konturen des Geländes erahnen.
Wetterleuchten über Latium!
Von Feme rollte dumpf der Donner. Grollend, wie ein im Schlaf gestörter Löwe seinen Unmut kund tut, klang es. Brummelnd, wie das langsame Abklingen einer gewaltigen Kesselpauke, verebbte das Grollen der Naturgewalten.
Eine Sinfonie des Schreckens bahnte sich an!
Durch das aufkommende Toben der Elementargeister rannte ein nacktes Mädchen um ihr Leben. Nur wenn die fernen Blitze ihr gespenstisches Licht gaben, erfaßte ihr Auge, wohin sie lief.
Hinter ihr schnappte der Rachen der Hölle. Sie wagte nicht, sich umzusehen.
Nur vorwärts. Ihre einzige Rettung lag darin, den Verfolger abzuschütteln. Deutlich konnte sie schon Sejanos rasselnden Atem hören. Aber auch eine Stimme, die gar nicht zu der Gestalt des Verfolgers passen wollte.
»Was soll denn das, kleines Mädchen?« säuselte es süß und einschmeichelnd wie aus dem Mund eines Engels. »Es
Weitere Kostenlose Bücher