0227 - Stellas Rattenkeller
Vater wäre fast noch in die Grube gerutscht. Im letzten Augenblick konnte er sich fangen, aber nicht mehr der Ratte ausweichen, die quer über das Grab setzte und ihn ansprang.
Das war zuviel. Blitzschnell biß sich das Tier an seiner Brust fest.
Zum Glück hackte es seine spitzen Zähne nur in das Revers des Anzugs, aber der Mann war trotzdem so geschockt, daß er die Übersicht verlor, zurücktaumelte und nicht mehr an das dahinterliegende Grab dachte, über dessen fest in der Erde sitzendem Kreuz er stolperte. Diesmal konnte er sich nicht auf den Beinen halten und fiel auf den Rücken.
Er brüllte. Seine Frau wollte zu ihm, hatte jedoch Angst. Wie auch Jan sah sie mit an, daß der Mann beide Hände um den Rattenkörper geschraubt hatte und so fest er konnte zudrückte.
Die Adern traten ihm dabei aus der Stirn. Er keuchte und sah das kleine, weit aufgerissene Maul mit den spitzen Zähnen dicht vor sich.
Die anderen Tiere waren zwischen die Mädchen und die Zuhälter gesprungen. Ungemein aggressiv, gereizt, wütend und darauf aus, endlich zu töten.
Das Girl, das in die starken Arme des Zuhälters Bully geflüchtet war, spürte den Anprall in ihrem Rücken. Sie trug nur ein schwarzes Fähnchen, fast durchsichtig, und der Stoff setzte den Zähnen der Ratte so gut wie keinen Widerstand entgegen.
Das Mädchen schrie.
Es spürte die scharfen Schmerzen, die spitzen Zähne und klammerte sich in ihrer Panik noch enger an den Zuhälter. Der kam nicht dazu, eine Waffe zu ziehen, weil ihm die Entsetzte die Bewegungsfreiheit nicht gönnte.
»Ich sterbe!« kreischte die Dirne. »Ich sterbe!«
Da bekam Bully es mit der Wut zu tun. Er schleuderte das Girl von sich, das auf den Rücken krachte, sich sofort herum rollte, so daß Bully das Tier auf dem Rücken sah.
Die Schreie der Dirne wurden leiser, da sie sich mit ihrem Gesicht gegen die Erde preßte. Sie zuckte ein paarmal, warf ihren Unterkörper hoch, und Bully sah das Blut an ihrem Rücken.
Er verzog das Gesicht, verzichtete auf seine Kanone und riß die Ratte von ihrem Opfer weg.
Zwischen seinen zusammendrückenden Fingern knackten die Knochen des Tiers, das er danach wutentbrannt in das offene Grab schleuderte, sich herumdrehte und zuschaute, was die anderen taten.
Nicht eine Ratte hatte es auf ihrem Platz gehalten. Wie kleine Teufel waren sie über die Menschen gekommen. Über das Gräberfeld hallten die Schreie der Trauergäste, auch der Prediger war angegriffen worden. Mit wirbelnden Armen schlug er nach den Tieren, traf sie auch, aber er schaffte es nicht, sie alle von seinem Körper zu schleudern. Er war so in Panik geraten, daß er dem Grabrand zu nahe kam, einen Fehltritt tat und in die Grube fiel.
Als er auf den Sargdeckel krachte, gab es ein dumpfes Geräusch, das nur von dem Schreien des Mannes übertönt wurde.
Niemand kümmerte sich um den Prediger, die Zuhälter und Mädchen hatten genug mit sich selbst zu tun.
Ein Schuß peitschte.
Einem war es gelungen, seine Waffe zu ziehen, bevor eine Ratte auf ihn zuspringen konnte.
Sie wurde getroffen, als sie noch auf dem Boden hockte. Die Kugel zerschmetterte sie fast, eine andere Ratte hauchte ihr Leben unter den Tritten schwerer Sohlen aus. Ein drittes Tier sprang genau in eine Messerspitze hinein.
Noch eine Ratte war da. Sie gab nicht auf und wuchtete ihren grauen Körper durch die Luft.
Ein gezielter Tritt schleuderte sie zurück, bevor sie irgendwelches Unheil anrichten konnte. Das Tier überschlug sich in der Luft und blieb liegen.
»Das war's«, sagte Bully und lachte rauh. »Alle kaputt.«
Auch die anderen lachten, bis sie das Wimmern aus dem Grab hörten. Es war ein schreckliches Geräusch, die Mädchen bekamen eine Gänsehaut, und auch die Zuhälter trauten sich erst nach einer Weile, an der schreckensstarren Familie vorbeizugehen und am Grabrand stehenzubleiben.
Sie schauten in die Tiefe und schluckten.
Der Prediger lag zwischen Sarg und Grabwand eingeklemmt. Er blutete. Der rote Lebenssaft lief aus zwei Wunden an der Stirn über das Gesicht. Das Haar verfärbt.
Die Ratte sahen die Männer nicht. Sie mußte sich im Grab verkrochen haben.
Irgendwie waren die unterschiedlichen Personen in den letzten Minuten zu einer Solidargemeinschaft zusammengewachsen.
Normalerweise hätten sich die Zuhälter um den Mann wohl nie gekümmert, aber in diesem Fall war es etwas anderes. Sie wollten auch noch den Tod der letzten Ratte, und sie zogen ihre Waffen.
Der eine stellte sich an das Kopf-,
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