0227 - Stellas Rattenkeller
die Flöte befindet.«
»Tut mir leid«, erwiderte die Frau, wobei sich ihre Lippen vor dem nächsten Satz zu einem spöttischen Lächeln kräuselten. »Wenn Ihnen so an der Flöte gelegen ist, dann zeige ich mich gern bereit, auch Ihnen eine zu schnitzen.«
»Darum geht es nicht, Miß Murdock.«
»Haben Sie sonst noch Fragen? Ich muß mich nämlich um meinen Patienten kümmern.«
»Nein, vorerst nicht.«
Sie nickte uns noch einmal zu, drehte sich um und verschwand in Rockys Zelle.
Wir warteten, bis die Tür zugefallen war. »Eine sehr engagierte und aggressive Dame«, sagte ich.
Der Professor fühlte sich angesprochen. »Es tut mir leid, Mr. Sinclair, aber Miß Murdock ist die einzige, zu der Rocky Koch Vertrauen gefaßt hat. Sie kommt gut mit ihm aus.«
»Das haben wir bemerkt. Dann hat sie ihm also die Flöte geschnitzt. Interessant.«
»Was ist an diesem Instrument denn so überaus wichtig für Sie?« wollte der Professor wissen.
»Kennen Sie die Geschichte des Rattenfängers von Hameln?«
»Ja.«
»So ähnlich ist es auch hier. Wir haben dieses Flötenspiel vernommen und eine regelrechte Ratteninvasion erlebt. Es ist schwer zu glauben, jedoch eine Tatsache.«
Der Blick des Professors wurde starr. »Wirklich?«
»Keine Täuschung.«
»Und wann?«
»In der vergangenen Nacht.«
Heftig schüttelte Professor Gardener den Kopf. »Tut mir leid, da muß ich Sie enttäuschen. Unser Patient hat sich in der Nacht über in seiner Zelle befunden.«
»Das ist kontrolliert worden?« erkundigte ich mich sicherheitshalber.
»Natürlich. Jede Stunde machen unsere Leute den Rundgang.«
»Miß Murdock?«
»Nein.« Der Arzt lächelte. »Sie hat anderes zu tun, als des nachts die Zellen zu kontrollieren. Stella Murdock ist genügend eingespannt, sie soll nachts schlafen. Aber weshalb fragen Sie? Verdächtigen Sie Rocky Koch noch immer?«
»Irgend jemand muß die Ratten angeführt haben. Und da dachten wir an Rocky Koch.«
»Der kommt hier nicht heraus!« erklärte Gardener mit selbstbewußter Stimme.
Mittlerweile glaubte ich es auch und dachte schon daran, irgendwelchen Wahnvorstellungen nachzulaufen. Die Zelle und die Mauern waren wirklich dicht. Keine Chance für Ausbrecher. Es sei denn, man ließ sie freiwillig heraus, wobei sich die Frage stellte, ob man Rocky Koch wieder einfangen konnte.
»Haben Sie sonst noch Fragen?« erkundigte sich der Professor.
»Nein, Sir, das hat sich alles erledigt.« Ich blickte Suko an. Mein Partner schüttelte den Kopf. Er hatte also auch nichts mehr auf dem Herzen.
Wir drei schritten nebeneinander zum Ausgang. »Es tut mir ja selbst leid, daß ich Ihnen nicht helfen konnte, und ich will Ihnen noch einmal sagen. Rocky Koch sitzt hier fest.«
»Das haben wir gesehen.« Ich reichte dem Professor die Hand.
»Vielleicht müssen wir trotz allem noch einmal herkommen, wenn Sie dann einen Termin für uns…«
»Immer.« Der Arzt lachte. »Sie sagen die Uhrzeit, und das andere geht klar.«
»Vielen Dank.«
Auch Suko verabschiedete sich. Nebeneinander gingen wir zum Parkplatz. Bis wir den Wagen erreicht hatten, sprach niemand von uns ein Wort. Erst als ich aufschloß, meinte Suko: »Du bist überhaupt nicht zufrieden, John?«
»Nein.«
»Und weshalb nicht.«
Ich stieg ein und öffnete Suko an der linken Seite der Tür von innen. »Irgendwas stimmt da nicht. Das habe ich im Gefühl.«
»Verdächtigst du den Arzt?«
»Kaum.«
»Die Frau?«
»Eigentlich auch nicht. Sie kann doch Rocky Koch in der Nacht nicht aus seiner Zelle lassen. Es würde bei den Kontrollgängen sofort auffallen.«
»Es sei denn, da stecken alle unter einer Decke und haben ein Komplott gebildet.«
Ich startete. »So pessimistisch denke ich ja nicht einmal.«
»Weshalb dann deine Gefühle?«
»Weiß ich auch nicht.«
»Und jetzt?«
»Werden wir uns auf eine lange und nette Rattennacht vorbereiten«, erwiderte ich.
***
»Hiii!« schrie Jan, »das sind ja Ratten. Widerlich!« Er klammerte sich an seiner Mutter fest, die ebenfalls entsetzt war und auf die sechs Tiere starrte, die sich unter den Kränzen hervorgeschoben hatten.
Jan hatte mit seinem Schrei den Anfang gemacht. Danach war die Szene für einen winzigen Moment erstarrt, bis die ersten Mädchen losschrien, denn sie hatten ebenfalls eine panische Angst vor den vierbeinigen Nagern.
Soweit sie es konnten, warfen sie sich zurück und wurden von den kräftigen Armen der Zuhälter aufgefangen.
Die Familie der Toten stand dicht am Grab. Der
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