0229 - Der schwarze Druide
sich zu erinnern, wie er früher geheißen hatte, aber es gelang ihm nicht. Er hatte seinen eigenen Namen vergessen!
»Merlin!« brüllte er in die Nacht hinaus. »Du vermessener, größenwahnsinniger Narr! Sogar meinen Namen hast du mir genommen! Aber ich habe jetzt wieder einen Namen. Hörst du mich, Merlin? Ich heiße jetzt Victor de Blaussec wie der Mann, den du zu meinem Wächter machtest! Und ich bin wieder da! Höre es, Merlin, und zittere!«
Er schnappte nach Luft. Er zwang sich wieder zur Ruhe. Es brachte ihm nichts ein, wenn er sich aufregte. Er mußte kühlen Kopf bewahren. Schon einmal hatte seine Hitzköpfigkeit ihm eine Niederlage eingebracht. Eine Niederlage gegen Merlin.
Kein zweites Mal! versprach er sich. In der kommenden Runde bleibe ich der Sieger! Und jetzt nehme ich Château Montagne in Besitz! Oh, wie wird der Merlinsknecht sich wundern…
Der Mann mit den glühenden Augen, der seit der Begegnung im Keller nicht mehr er selbst war, kicherte spöttisch.
Er schnipste mit den Fingern. Bläuliches Leuchten ging von seinen Händen aus, floß über seine Arme, den Oberkörper, den ganzen Leib… Und als es verging, trug der Mann eine schwarze Kutte. Ein goldener Gürtel raffte sie in der Mitte, und in diesem Gürtel steckte eine Sichel. Die Kapuze der Kutte war noch zurückgeschlagen.
»So sehe ich endlich wieder so aus, wie ich mir gefalle und wie es mir zusteht«, sagte er leise und zufrieden. »Und nun wollen wir sehen, daß wir die Basis dieses Zamorras in Besitz nehmen. Merlinsknecht, ich komme! Selten bot sich so eine unschätzbare Gelegenheit!«
Er konnte mit sich und der Welt zufrieden sein. War es wirklich nur Zufall, daß ausgerechnet Raffael Bois den Schatz berührte? Oder war es ein Wink des »Schicksals«?
Wie dem auch sei - er hatte die einmalige Chance gesehen und sofort zugepackt. Und jetzt war er wieder da.
»Jetzt bin ich wieder da. Damit hast du niemals gerechnet, Merlin, nicht wahr?« flüsterte er. »Daß ausgerechnet der Diener deines stärksten Helfers mich von dem Fluch befreite?«
Wieder lachte er, diesmal so dröhnend wie in jenem Moment, als er erwachte.
Er war vom Bann frei, er war mächtig wie einst, und er besaß einen zufriedenstellenden Körper. Was wollte er mehr?
»Eine Rechnung begleichen will ich. Zamorra hat noch eine Rechnung bei mir offen. Er hat meine lieben Freunde getötet, die Ratten, die ich in diese Welt holte! Oben, an der Küste!«
Er streckte die Arme aus.
»Ich komme, Zamorra! Ich, dein Feind!«
Er war der Schwarze Druide.
***
Niemand fand am anderen Morgen die Leiche Clement Ferracs in der Telefonzelle. Denn noch in der Nacht geschah etwas Gespenstisches.
Die Ratten drangen in die Zelle ein. Ihre spitzen Nasen beschnüffelten den Toten. Unruhig huschten die riesigen Nager hin und her. Eine der Ratten begann dann, das Tuch durchzubeißen, mit dem Clement seinen verletzten Arm knapp unter der Schulter abgebunden hatte.
Der Druck verschwand. Der Keim des Dunklen konnte wieder strömen. Und er brauchte nicht den Druck eines pulsierenden Herzens, um sich auszubreiten.
Er kroch von selbst…
Die Ratten huschten davon, verschwanden in der Nacht. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Nur der Tote blieb in der Zelle zurück.
Eine Stunde mochte vergangen sein, als sich an ihm etwas veränderte. Der Kopf verformte sich auf unheimliche Weise. Starke, graubraune Behaarung entstand, verdichtete sich. Der Schädel verschob sich. Eine lange, spitze Schnauze bildete sich. Die Augen wurden rund, die Ohren spitz und veränderten ihre Stellung.
Auf dem Körper eines Menschen saß jetzt der riesige Kopf einer Ratte…
Und dann ging ein leichtes Zucken durch die bizarre Gestalt. Die Arme hoben sich, streckten sich dem Mondlicht entgegen. Taumelnd kam der Mann in die Höhe, ohne sich abstützen zu müssen, so als werde er vom Mondlicht angezogen. Eine unfaßbare Kraft pulsierte in seinen alten Gliedern.
Er machte einen Schritt vorwärts. Das Glas der Zellentür zerbarst einfach, die Scherben flogen meterweit davon, obgleich sich der Rattenköpfige nur langsam bewegte. Er trat ins Freie und sah den Mond an.
Er lauschte unhörbaren Stimmen.
Das, was sich vor Tagen an der bretonischen Küste bei Morlaix abgespielt hatte, wiederholte sich hier. Das Unheimliche, das Zamorra dort vernichtet hatte, lebte hier wieder auf.
Clement Ferrac war tot. Der Rattenköpfige lebte. Er war ein anderer. Er benutzte nur den Körper eines Menschen.
Und diesen setzte er
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