023 - Der grüne Bogenschütze
Kerl, der heute nacht hier eingebrochen ist, muß kugelfest sein, wenn er mir das nächste Mal entwischen will! - Ja, was gibt's? Herein!«
Der Hausmeister hatte angeklopft und trat jetzt ein.
»Ich habe noch einmal die Vorratskammer neben der Küche durchsucht, Mr. Bellamy - dabei habe ich dies hier gefunden.«
Bellamy sprang auf und riß Wilks den Gegenstand aus der Hand, der aussah wie ein kleiner roter Ball, sich bei näherer Untersuchung aber als blutdurchtränktes Taschentuch herausstellte. Bellamy zog die Augenbrauen hoch.
»Also habe ich den Kerl doch erwischt!« rief er triumphierend. »Oder können Gespenster etwa bluten? Was halten Sie davon, Savini?«
Er faltete das Taschentuch ganz auseinander.
»Ein Damentaschentuch -«, murmelte er verblüfft.
Es war ein hübsches Spitzentuch aus feinstem Batist. In der einen Ecke war ein Monogramm eingestickt. Er hielt das Tüchlein unter die Tischlampe.
»V. H.«, las er stirnrunzelnd. »V. H.! Wer, zum Teufel, ist V. H.?«
Da er nicht auf Savini achtete, sah er dessen entsetzten Blick nicht.
V. H.! Valerie Howett! durchzuckte es den Sekretär.
10.
Abel Bellamy empfing Fremde nie oder doch nur selten in der Burg. Er hatte im Pförtnerhaus eigens ein Besucherzimmer einrichten lassen, und wenn es etwas zu verhandeln gab, ging er hinüber und führte die Besprechung dort.
Der Morgen nach dem nächtlichen Zwischenfall war klar und frostig. Mr. Bellamy stapfte langsam über die Rasenflächen des Parks zum Pförtnerhaus. Der Portier legte respektvoll die Hand an die Mütze, als er eintrat und sich ins Besuchszimmer begab, wo ein Polizeibeamter auf ihn wartete.
»Guten Morgen, Mr. Bellamy. Wie ich höre, gab es heute nacht einige Aufregung in der Burg?«
Bellamy sah ihn abweisend an.
»Dann sind Sie falsch unterrichtet worden. Es war überhaupt nichts los, außer, daß ich einen dummen Traum hatte und auf einen Schatten schoß. Ich hielt ihn für einen Einbrecher. Da - nehmen Sie, für Ihre Bemühungen!« Er drückte dem Polizisten eine Banknote in die Hand. »Vergessen Sie den Vorfall. Ich möchte nicht, daß die Sache weitergemeldet wird.«
Der Polizist lächelte verbindlich.
»Ich verstehe, Mr. Bellamy.«
»Sie sind wohl über alles unterrichtet, was im Dorf passiert, nehme ich an. Waren in letzter Zeit Fremde hier?«
»Ja, ich glaube, ein oder zwei Besucher sind hier gewesen, vor allem eine Dame, die Lady's Manor sehen wollte.«
»Lady's Manor?« fragte Bellamy. »Das ist doch das alte Haus dort an der Straße?«
»Ja, es gehört Lord Tetherton. Man müßte viel Geld hineinstecken. Deshalb ist es wohl auch noch nie vermietet worden. Teile des Hauses sind so alt wie Ihre Burg.«
»Wann war sie hier?«
»Ich glaube, vor zwei Tagen. Die Dame sah sehr gut aus.«
»Wissen Sie, woher sie kam?«
»Von London, soviel ich weiß. Wenigstens hatte das Auto eine Londoner Nummer.«
»War sie allein?«
»Ich habe niemand in ihrer Begleitung gesehen.«
»Falls Sie noch etwas über die Dame erfahren können - ich möchte gerne ihren Namen wissen.«
Den restlichen Vormittag benützte Bellamy dazu, die Vorratskammer nochmals genau zu untersuchen. Er hoffte, eine Blutspur zu entdecken, die ihm weitere Aufschlüsse geben würde, aber er fand nicht einen einzigen Flecken. Savini schickte er unter einem Vorwand nach Guildford, damit er sich ungestört seinen Nachforschungen im Haus widmen konnte.
Julius war nur zu froh, sich aus dem Staub machen zu können. Sobald er seinen Auftrag in Guildford erledigt hatte, fuhr er nach London ins Carlton Hotel.
»Nein, ich glaube nicht, daß Miss Howett in ihrem Zimmer ist«, teilte ihm der Empfangschef mit. »Ich habe sie heute überhaupt noch nicht gesehen. Wenn Sie wünschen, kann ich fragen, ob sie zu sprechen ist.«
Savini zögerte einen Augenblick.
»Ja - bitte.«
Er hatte sich zu einem kühnen Schritt entschlossen. Gespannte Erwartung spiegelte sich in seinem Gesicht, während der Concierge telefonierte.
»Es tut mir leid, Mr. Savini, Miss Howett ist nicht zu sprechen. Sie hat sich gestern abend den Fuß vertreten, als sie aus dem Wagen stieg, und ist nun in ärztlicher Behandlung.«
Verwirrt verließ Julius das Hotel. »Den Fuß vertreten« bedeutete doch wohl, durch einen Schuß verwundet? Was jedoch hatte sie überhaupt in Garre Castle zu suchen? Und zu welchem Zweck verkleidete sich die Tochter eines Millionärs als grüner Bogenschütze? Wenn sie es wirklich gewesen war - die Annahme schien
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