023 - Der grüne Bogenschütze
so einfach, Sie über die Mauer zu schaffen, es hat mich allerhand Anstrengung und Zeit gekostet. Nachher kehrte ich zur Burg zurück. Glücklicherweise fand ich die Haupttür unverschlossen, so daß ich mich nicht als Fassadenkletterer betätigen mußte.«
Sie seufzte erleichtert auf.
»Dann sind Sie also nicht der grüne Bogenschütze?«
»Um Himmels willen, nein, ich bin nur ein armseliger, in Ungnade gefallener Hausmeister - und ein Polizeibeamter, der jetzt wahrscheinlich in böse Verlegenheit kommen wird.«
»Haben Sie wirklich gar nichts Belastendes gefunden?«
»Nein, nichts. Einige Briefe seines Bruders, das war alles.«
Von der neunschwänzigen Katze erwähnte er nichts. Er verabschiedete sich bald und ging zum ›Blauen Bären‹ zurück. Sein Wagen, den er für die täglichen Ausflüge nach London benützt hatte, war im nächsten Dorf eingestellt. Savini hatte die Aufgabe gehabt, Bellamy gegenüber immer neue Entschuldigungen und Erklärungen für seine häufige Abwesenheit zu erfinden.
Jim traf an der Theke des Gasthauses Spike, der sich einen Whisky genehmigte und gleich anfing, sich über die Hinterhältigkeit Savinis zu beklagen.
»Ich habe ihn mehrmals gefragt, wer der neue Hausmeister sei, aber der Kerl schwor, daß er ihn nie zuvor gesehen hätte!«
»Er meinte natürlich - in diesem Beruf! Im übrigen hatte ich ihn ausdrücklich angewiesen, mich an keinen Menschen zu verraten. Aber passen Sie jetzt auf, Spike! Ich kehre vorerst nach London zurück, nehme aber für alle Fälle ein Zimmer im ›Blauen Bären‹ und lasse mein Gepäck hier. Geben Sie mir Nachricht, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Ich lasse auch einen Beamten hier zurück.«
»Um Bellamy zu bewachen?«
»Nein, nur so - um im allgemeinen aufzupassen.«
»Aha, dann soll er also Miss Howett bewachen«, bemerkte Spike taktlos wie immer.
Auf dem Weg zur Stadt war Jim mit ernsten Gedanken beschäftigt. Daß Gefahr im Verzug war, wußte er genau - und die größte Gefahr drohte Valerie Howett. Coldharbour Smith kam ihm in den Sinn. Er nahm sich vor, in London als erstes dem ›Goldenen Osten‹ einen Besuch abzustatten.
31.
Der ›Goldene Osten‹ war zweifellos ein ziemlich undurchsichtiger Klub, in dem sich seltsame Dinge ereigneten. Besitzer der Lokalität war Coldharbour Smith. Unter seiner Leitung wurden fortwährend sämtliche Vorschriften der Polizei über das Klubwesen übertreten, so daß man den Klub jederzeit hätte schließen können. Anderseits war der ›Goldene Osten‹ gerade deshalb in den Augen des Polizeipräsidiums eine sehr nützliche Einrichtung und stellte als Sammelplatz lichtscheuer Elemente eine wahre Fundgrube dar.
Coldharbour Smith war nicht nur sehr großzügig, sondern auch überzeugt davon, daß seine Geschenke an gewisse Polizeibeamte ihm jede nur denkbare Rücksicht verschafften.
Das Etablissement nahm das ganze Haus ein, die verschiedenen Räume verteilten sich auf mehrere Stockwerke. Im Erdgeschoß lagen die Büros, in den Obergeschossen die Gesellschaftsräume, Bar, Tanzsaal und eine fensterlose Halle, in der nachts hoch und heftig gespielt wurde. Eine Jazzband spielte laut und wild, und die ganze Halbwelt Londons schien sich hier zu amüsieren.
Pochende Schlagzeugrhythmen dröhnten Jim Featherstone entgegen, als er das Haus betrat und die teppichbelegte Treppe hinaufstieg. Der Portier drückte sofort auf eine Alarmklingel, und als Jim den Tanzsaal erreichte, schien dort eine allgemeine Ruhepause eingetreten zu sein. Coldharbour Smith, der an der Bar stand, hatte das Zauberwort ›Polizei‹ in den Saal weitergegeben.
»Sehr erfreut, Sie zu sehen, Captain.« Coldharbour kam Featherstone entgegen und reichte ihm seine von Brillantringen glitzernde Hand.
»Heute abend ist es aber sehr ruhig hier, Smith!«
»Oh, bei uns gibt es doch kaum je viel Lärm.«
Jim ließ den Blick über die versammelte Gesellschaft gleiten.
»Eine Reihe interessanter Leute ist hier - die Hälfte davon habe ich gelegentlich schon in Scotland Yard begrüßen können. - Schmuggeln Sie noch Whisky, Smith? Und wie läuft der Kokshandel? Das kleine Hinterzimmerchen für Opiumraucher haben Sie auch noch in Betrieb, wie ich sehe. Ich fürchte, Sie werden den Staat noch mal eine Menge Geld kosten, wenn Sie Ihren verlängerten Urlaub in einem unserer komfortablen Zuchthäuser verbringen.«
»Aber Captain, was sind das für unpassende Scherze?«
»Schon gut, Smith! Kann ich Sie einmal allein
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