023 - Der grüne Bogenschütze
zur Entführung - das bringt Ihnen einige Jährchen Zuchthaus ein. Vorbestraft und rückfällig sind Sie auch! Ich kann die Sache so arrangieren, daß Sie mit einem Jahr Gefängnis davonkommen. Bedingung - Sie erzählen mir, wohin Miss Howett gebracht wurde. Fünf Minuten Zeit zum Oberlegen. Dieses Angebot ist einmalig, merken Sie sich das!«
Jim zündete sich eine Zigarette an. Er hatte leichtes Spiel. Lacy rutschte unruhig auf seiner Pritsche hin und her. Tatsächlich überlegte er nicht lange. Er schielte von unten herauf in Featherstones Gesicht, und als der Captain eine ungeduldige Bewegung zur Tür hin machte, begann er zu reden.
»Warten Sie, Captain!« rief er. »Ich will Ihnen alles sagen - sie ist an Bord der ›Contessa‹.«
»Keine Lügen, Lacy! Dort ist sie nicht.«
»Ich schwöre es Ihnen, Captain - wir waren an Bord, als Sie gestern abend das Schiff durchsuchten. In der Kammer für die Ankerketten hatten wir uns versteckt, sie wollte schreien, aber Smith hielt ihr den Mund zu. Ich kann es Ihnen beweisen, denn ich hörte Ihre Stimme. Als Sie in die Nähe kamen, sagten Sie, Miss Howett könne nicht an Bord sein.«
»Wann waren Sie zuletzt auf der ›Contessa‹?«
»Gestern abend riß ich aus, ich wollte nichts mehr mit der Sache zu tun haben.«
»Und Miss Howett war zu dieser Zeit noch auf dem Schiff?«
»Ja.«
»In welchem Teil des Schiffes wird sie versteckt?«
»Coldharbour Smith hat sie in eine Kabine gesperrt. Alles ist vorbereitet. Smith ist der Eigentümer des Schiffes, der Kapitän samt der Mannschaft sind von ihm gekauft. Ich hörte, wie Smith sagte, daß das Schiff noch ein oder zwei Tage vor Anker liegen müsse, bis etwas Gras über die Geschichte gewachsen sei.«
»Gut, Lacy - wenn Ihre Aussage stimmt, werde ich mich für Sie verwenden. In einigen Stunden sprechen wir uns wieder ...«
Kaum hatte Featherstone draußen die Zellentür geschlossen, begann er zu laufen. Alles mußte jetzt sehr schnell gehen.
43.
Für Valerie Howett schlichen die Stunden mit quälender Langsamkeit dahin. Meistens saß sie am Tisch und starrte auf die Tür. Das Ganze kam ihr immer noch wie ein böser Traum vor, aus dem sie jeden Moment erwachen mußte.
Zu essen hatte sie reichlich erhalten. Um die Mittagszeit war Coldharbour Smith aufgetaucht und hatte versucht, sich mit ihr zu unterhalten. Daß sie ihm die Antworten schuldig blieb, schreckte ihn keineswegs ab, und mit Bangen dachte sie daran, wie er sich erst auf hoher See benehmen würde.
Eine einzige Frage stellte sie ihm.
»Wo ist meine Mutter?«
»Der Alte sagt, sie sei entkommen ...«
»Entkommen?« Valerie sprang auf.
»Nur Ruhe, Miss. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß sie gestorben ist. Schließlich war sie acht Jahre lang in einem unterirdischen Gefängnis eingesperrt.«
»Und - wo war sie diese ganze Zeit? In Garre?«
»Selbstverständlich war sie dort!« antwortete er kaltblütig. »Sie wissen ja gar nicht, wie schlau der alte Bellamy ist.«
Valerie dachte angestrengt nach. Also hatte sie mit ihren Vermutungen völlig recht gehabt! Schon lange ahnte sie, wie alles gekommen war. Es mußte so gewesen sein, daß Bellamy in ihre Mutter verliebt gewesen war, sie sich aber geweigert hatte, ihn zu heiraten. Valerie konnte sich leicht vorstellen, was es für einen Mann wie ihn bedeutete, wenn ihm Widerstand entgegengesetzt wurde. Die Frau, die er liebte, heiratete einen anderen - diesen Schlag hatte er nie überwunden. Dementsprechend war seine Rache gewesen. Und als ihm klarwurde, daß Valerie Howett das Kind war, das er vor dreiundzwanzig Jahren geraubt hatte, da wollte seine Rachsucht auch vor ihr nicht haltmachen. Wenn ihre Mutter nicht tot war ... Möglichkeiten, Vermutungen schwirrten durch ihren Kopf, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Den Nachmittag und Abend verbrachte Valerie in dumpfem Brüten. Ab und zu zuckte sie erschrocken zusammen, wenn es auf Deck besonders laut polterte. Anscheinend wurde das Schiff fahrbereit gemacht.
Gegen Abend steckte Coldharbour Smith noch einmal den Kopf in die Kabine, er war sehr beschäftigt und überzeugte sich nur, daß sie keinesfalls entkommen konnte. Danach ging er zu dem Gelaß mit den Ankerketten, schob den Riegel zurück und riß die Falltür hoch.
»Savini! - He, antworten Sie!« brüllte er.
Er griff nach seiner Taschenlampe und leuchtete fluchend den dunklen Raum ab. Nichts, niemand - es gab keine Möglichkeit, sich in der winzigen Kammer zu verstecken.
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