023 - Der grüne Bogenschütze
Verdutzt richtete sich Smith auf. Savini war verschwunden!
Ein Matrose kam über das Deck auf ihn zu, und er rief ihn an.
»Sie hatten Befehl, dem Mann hier das Essen zu bringen - haben Sie die offene Tür unbeaufsichtigt gelassen?«
»Nein - ja, nur einen Moment, er wollte Wasser haben, ich ging schnell weg, um eine Kanne zu holen, einige Augenblicke war die Tür offen. Die Wasserkanne stellte ich dann auf den Boden, gesehen habe ich ihn nicht, ich hatte keine Lampe dabei. Wahrscheinlich lag er wie gewöhnlich in seiner Ecke.«
Smith leuchtete nochmals die Kammer ab. Die Handschellen und der Strick lagen auf dem Boden. Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren! Smith suchte in größter Eile den Kapitän auf, der auf der Brücke beschäftigt war.
»Wie lange dauert es, bis du abfahren kannst?«
»Zwei Stunden«, sagte der kleine Spanier. »Aber schau dir bloß einmal diesen teuflischen Nebel an!«
»Das ist jetzt ganz egal. Kannst du nicht gleich losmachen?«
»Ausgeschlossen. Wir haben noch nicht genügend Dampf, und wenn der Nebel dichter wird -«
»Wir müssen auf alle Fälle losfahren«, unterbrach Smith den Kapitän. »Du kennst ja den Fluß. Also - so schnell wie möglich hier heraus!«
Nervös lief Smith auf dem Deck hin und her. Der Nebel über der Themse wurde immer dichter und verschluckte jedes Licht ringsum. Als er ein leises glucksendes Geräusch hörte und sich über die Reling beugte, erkannte er die verschwommenen Umrisse eines Ruderbootes, das sich langsam dem Schiff näherte. Es saß nur ein Mann darin, wahrscheinlich ein Matrose, der von Land zurückkam.
Coldharbour ging in den Aufenthaltsraum, der direkt neben Valeries Kabine lag, setzte sich in einen Sessel und überlegte. Wenn es Julius gelungen war, an Land zu entkommen ... Vielleicht befand er sich aber doch noch an Bord und hielt sich irgendwo versteckt. Smith legte seinen Revolver vor sich auf den Tisch und lauschte angestrengt nach oben.
Nichts. Auch aus Valeries Kabine drang kein Laut. Einige Minuten vergingen. Er hörte, wie der Kapitän Befehl gab, den Anker zu lichten. Plötzlich kam von oben ein leises, ungewohntes Geräusch, als ob jemand ohne feste Schuhe über das Deck schleichen würde.
Smith schaute auf. Einen Augenblick lang starrte er entsetzt auf die Erscheinung. Dann fuhr seine Hand nach dem Revolver ...
44.
Das Motorboot, das durch den Nebel stieß, hielt direkt auf die ›Contessa‹ zu. Vorsichtshalber ließ Jim den Motor abstellen, und das Boot glitt fast lautlos an die Seite des Dampfers. Ein paar Sekunden danach waren Jim und die Leute von der Flußpolizei an Bord. Kein Mensch war zu sehen.
»Verhaften Sie zuerst den Kapitän«, flüsterte Jim.
Ein Beamter kletterte die Leiter zur Kommandobrücke hinauf.
Jim durchsuchte einige Kabinen, ohne auf jemanden zu stoßen. In einer Kabine brannte Licht, auf dem Bett lag Valeries Pelz. Sie selbst war nicht da.
Er stieß die Tür zum angrenzenden Aufenthaltsraum auf und leuchtete mit seiner Lampe hinein. Sofort wich er einen Schritt zurück und hob den Revolver. Am Tisch saß ein Mann.
»Hände hoch!« rief er und trat näher.
Im Schein der Taschenlampe erkannte er Coldharbour Smith. Er saß zurückgelehnt im Sessel, seine rechte Hand lag auf der Tischplatte, als wollte sie nach dem Revolver greifen. Seine Augen starrten nach dem offenen Deckfenster.
Er war tot. Aus seiner Brust ragte ein grüner Pfeil. Dieser hatte ihn anscheinend direkt ins Herz getroffen.
Jim gab Auftrag, den Inspektor der Flußpolizei zu verständigen, und ließ sich den Kapitän vorführen, der jede Fassung verlor.
»Ich wußte ja, daß eine Dame an Bord war, aber wie konnte ich ahnen, wie sollte ich wissen, daß etwas nicht in Ordnung -«
»Wo ist sie jetzt?«
Ein großes Polizeiboot legte am Schiff an, und gleich darauf wimmelte es an Deck von uniformierten Beamten. Jeder Winkel wurde durchsucht, doch Valerie war nirgends zu finden. Man entdeckte eine ins Wasser hinunterhängende Strickleiter. Außerdem stellte der Kapitän fest, daß das kleine Beiboot fehlte, das an der Ankerkette vertäut gewesen war.
Daß Valerie nicht allein geflüchtet sein konnte, war Jim klar. Hatte Savini sie begleitet? Oder - vielleicht war sie mit dem grünen Bogenschützen geflohen?
»Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte der Inspektor zu Jim, »daß der Mörder so rasch wieder an Land gefunden hat. Wer den Fluß nicht ganz genau kennt, kann sich in einer so nebligen Nacht kaum
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