023 - Die Vampir-Klinik
Hingle war ruhig geworden. Er sah immer noch gut aus und trieb Sport, um schlank zu bleiben, aber er tat alles mit Maßen, nicht mehr so wild und ungestüm wie früher.
Fast vierzig. Das gab ihm zu denken. Manche sagen, das wäre die Lebensmitte. Andere behaupten, mit vierzig habe man die Mitte des Lebens bereits hinter sich gebracht.
Wie auch immer, es war höchste Eisenbahn, daranzugehen, eine Familie zu gründen. Jetzt oder nie. Denn später war man schon zu alt für Kinder und ohne Kinder konnte sich Dr. Pat Hingle keine Familie vorstellen.
Aus diesem Grund bemühte sich der Arzt seit einiger Zeit um Peggy Coughlin, eine hübsche blonde Krankenschwester, die ganze zehn Jahre jünger war als er – und somit auch schon auf die 30 zuging, was bei Frauen eigentlich in den meisten Fällen schon einen inneren Alarm auslöst und hin und wieder sogar zu hysterischen Kurzschlußhandlungen führt.
Torschlußpanik nennt man das. Es gibt Frauen, die in dieser Situation den erstbesten Mann heiraten, der ihnen über den Weg läuft, nur um noch schnell vor Vollendung des dreißigsten Lebensjahres unter die Haube zu kommen.
Zumeist geht das schief. Nur wenige haben damit Glück. Peggy Coughlin gehörte nicht zu dieser Kategorie von Frauen. Sie hatte eine schwere Enttäuschung hinter sich und eigentlich die Absicht, überhaupt nicht zu heiraten. Diesen starren Grundsatz hatte Pat Hingle aber in den letzten Tagen ein wenig ins Wanken gebracht.
Man soll eben nie nie sagen.
Hingle saß in seinem weißen Ford Granada und war zu Peggy unterwegs, um sie abzuholen. Sie hatten heute beide Nachtdienst, und Pat Hingle hoffte, daß nicht viel zu tun sein würde, damit ihm reichlich Zeit blieb, sich mit Peggy zu befassen.
Er bog in die Walton Street ein, bog hundert Meter weiter noch einmal um die Ecke und hielt vor einem schmalbrüstigen Haus. Er brauchte nicht auszusteigen.
Ein kleines Tippen auf die Hupe genügte. Peggy erschien am Fenster im ersten Stock und winkte ihm zu. Er nickte und wartete, ohne den Motor abzustellen. Peggy verschwand vom Fenster, und wenig später trat sie aus dem Haus. Ihr Gang war beschwingt. Ihr Lächeln wärmte Pat Hingle die Seele.
»Guten Abend, Pat«, sagte sie und setzte sich neben ihn.
»Schwester Peggy«, erwiderte er und lächelte sie an. »Wie war der heutige Tag?«
Sie seufzte. »Frag mich lieber nicht. Du weißt, was gestern nacht in der Klinik los war. Wir kamen kaum zum Atemholen. Ich fiel heute morgen todmüde ins Bett. Kaum schlief ich, läutete es an der Tür.«
»Hast du die Klingel denn nicht ausgeschaltet?«
»Ich hab’s vergessen. Außerdem hätte es wenig genützt. Du kennst meinen Bruder nicht. Er hätte mit der Faust so lange gegen die Tür getrommelt, bis ich aufgemacht hätte. Er wußte, daß ich zu Hause war.«
»Was wollte er denn?«
»Ich erzähl’s dir während der Fahrt.«
Pat Hingle setzte den Granada in Bewegung.
»Du weißt, daß mein Bruder geschieden ist«, sagte Peggy.
»Ja. Etwa seit einem halben Jahr.«
»Seine Frau wollte unbedingt die Kinder haben, und das Gericht sprach sie ihr auch zu. Die armen Kleinen. Ich wußte gleich, daß das nicht gutgehen würde. Heute morgen stellte ihm Edith die Kinder vor die Tür und sagte, von nun an solle er sich um sie kümmern, sie habe genug von den beiden.«
»Was ist denn das für eine Rabenmutter?« entrüstete sich Hingle.
Peggy zuckte die Schultern. »So war sie eigentlich immer schon. Deshalb ließ mein Bruder sich ja von ihr scheiden. Sie war natürlich betrunken, und sie brüstete sich damit, einen reichen Freund gefunden zu haben, dem die Kinder lästig wären, deshalb könne sie sie nicht mehr brauchen. Da stand mein Bruder nun mit den beiden Kleinen und sollte dringend geschäftlich nach Amsterdam fliegen. Also brachte er sie zu mir. Sie sind immer noch da. Eine Freundin von mir paßt jetzt auf sie auf. Sobald mein Bruder aus Amsterdam zurück ist, werden wir uns gemeinsam eine Lösung des Problems überlegen.«
»Die Knirpse tun mir leid«, sagte Pat Hingle. »In so jungen Jahren schon dermaßen herumgeschubst zu werden, das tut ihrer Psyche bestimmt nicht gut.«
»Wir werden dafür sorgen, daß sie von nun an in geordneten Verhältnissen aufwachsen«, sagte Peggy.
Die Fahrt verlief kurzweilig. Der Granada passierte die Londoner Stadtgrenze. Pat Hingle überlegte, ob er Peggy das Angebot machen sollte, ihn zu heiraten. Dann hätte sie zu Hause bleiben und sich um die Kinder ihres Bruders kümmern
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