023 - Im Zeichen des Boesen
Anja inzwischen nicht aufgewacht. Sie würde sich in dieser fremden Umgebung sicherlich fürchten. Aber der nette Fremde war ja bei ihr. Er würde ihre Ängste schon vertreiben. Vukujev kicherte, als er sich vorstellte, daß Dorian – so nannte er ihn nur bei sich selbst – die zitternde Anja in den Armen hielt. Dorian würde sie wärmen. Dorian würde sie trösten.
Vukujev hieb mit der Faust gegen das schwere Tor. Es schmerzte so sehr, daß ihm Tränen in die Augen schossen.
Aber dieser Schmerz verscheuchte wenigstens den anderen – den Schmerz in seiner Brust.
Vukujev mochte Anja, aber er wußte auch, daß er sie nie besitzen konnte. Er war anders als die anderen und wahrscheinlich nur dazu da, damit sie ihn mit Füßen treten konnten. Auch Anja durfte das mit ihm tun. Aber wehe, jemand behandelte Anja so!
Er betrat das Schloß. Einen Moment lang war ihm, als würde er eine fröhliche, ausgelassene Gesellschaft sehen. Nackte Männer und Frauen und seltsame Tiere, Geschöpfe, die er noch nie gesehen hatte. Blut floß aus Kelchen. Ein ausgeweidetes Schaf …
Das Bild verschwand. Das Schloß lag wieder leer, verlassen und dunkel vor ihm. Nur die verzückten Schreie hallten in seinem Geist nach.
Vukujev kicherte. So mußte es früher einmal hier zugegangen sein, als die Gräfin noch jung und temperamentvoll gewesen war. Vukujev hastete über die Treppe ins Obergeschoß und erreichte keuchend die Tür, hinter der er Anja und den Fremden allein gelassen hatte.
Er drückte die Klinke nieder. Die Tür war verschlossen. Er pochte dagegen und glaubte, ein Stöhnen zu hören. Der Wind wahrscheinlich, dachte er.
»Dorian, machen Sie auf!«
Vukujev wurde unruhig. Als er keine Antwort erhielt, rannte er gegen die Tür an. Beim dritten Anlauf sprengte er das Schloß. Er taumelte in das Zimmer hinein und sah undeutlich eine dunkle Gestalt, die sich aber sogleich auflöste. Das Fenster zerbarst in tausend Splitter, und etwas entwich mit schaurigem Geheul durch die Öffnung.
Es war nur der Wind, sagte sich Vukujev.
Er ging besorgt zu Anja, die wimmernd auf dem Sockel lag. Ihr Körper war übel zugerichtet; ihr Gesicht war aufgequollen, die Augen waren blutunterlaufen und geschwollen.
»Mein Gott, was hat er mit dir getan?« entfuhr es ihm.
Anja gab keine Antwort. Sie war nicht ganz bei sich und wimmerte nur kläglich vor sich hin. Vukujev zog ihr Nachthemd herunter, das sich um ihren Hals zusammengerollt hatte. Obwohl er sie zärtlich und sanft behandelte, mußte ihr jede seiner Berührungen wehtun, denn sie stieß kleine, spitze Schmerzensschreie aus.
»Dorian, wo verstecken Sie sich?«
Weglaufen!
»Komm, Anja, ich laß dich nicht hier.«
Er nahm sie unbeholfen auf die Arme und verließ mit ihr das Zimmer. Jedesmal, wenn sie stöhnte, zuckte er zusammen, als würde er den Schmerz selbst spüren.
»Wer störte den Hexensabbat?« fragte eine hohle, gespenstische Stimme.
Vukujev ließ sich von diesen Sturmgeräuschen nicht beirren. An jeder Tür, an der er vorbeikam, hielt er inne und lauschte. Wenn er Geräusche hörte, trat er sie auf. Aber kaum waren die Türen offen, wurde alles still.
Er fand Dorian nicht und auch nicht die anderen Fremden, die im Schloß abgestiegen waren. Wenn er nur gewußt hätte, wo ihre Unterkünfte lagen! Oder wenn er wenigstens das Zimmer der Gräfin gekannt hätte! Sie mußte erfahren, welch einen üblen Burschen sie mit Dorian bei sich aufgenommen hatte. Vielleicht war er der Teufel in Person; von dem man in Asmoda so viel munkelte. »Gräfin, wo sind Sie?«
Ein höhnisches Gelächter war die Antwort. Als es verhallt war, vernahm Vukujev aus einem Zimmer Geräusche, die ganz anders klangen. Es hörte sich so an, als ob jemand die Einrichtung zertrümmern würde und ein Feuer entfacht hätte.
Vukujev trat an die Tür. Und da sah er ihn. Dorian, wie er tobte und mit Prügeln und seinen Beinen nach Schatten und Irrwischen schlug. Und er sah die leblos auf einem Stuhl kauernde Gräfin.
Dorian hatte sie umgebracht!
»Dafür töte ich Sie!« schrie Vukujev außer sich vor Wut.
Als der erste Angriff der übernatürlichen Kräfte Dorian zu überwältigen drohte, wußte er sich nicht anders zu helfen, als die Arme zu überkreuzen. Das verschaffte ihm eine kurze Atempause, aber dann riß etwas Unsichtbares seine Arme auseinander.
Dorian ging zu Boden. Durch das eingeschlagene Fenster sah er Schatten hereinflattern. Fledermäuse stürzten sich auf ihn und verbissen sich in
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