023 - Reise ohne Wiederkehr
Satelliten erhob sich an der Steuerbordseite der finstere Klotz einer Felsnadel, die, wie Matt annahm, vor fünfhundert Jahren noch auf keiner Seekarte verzeichnet gewesen war.
Am Himmel strahlte als stecknadelkopfgroßer Punkt der rote Planet Mars, und vielleicht umkreiste irgendwo dort oben sogar noch die Internationale Raumstation ISS auf ihrer Umlaufbahn die Erde.
Matt fragte sich, was aus der Besatzung geworden war. Wahrscheinlich hatte sie die große Katastrophe noch um mehrere Monate überlebt, aber irgendwann mussten Proviant, Wasser und Luftvorräte erschöpft gewesen sein.
Er schüttelte sich bei dem Gedanken, in einer riesigen, mit allem erdenklichen Komfort ausgestatteten Kiste aus Karbon, Stahl, Plastik und Glas auf die Erde hinab zu schauen, den Einschlag des Kometen zu beobachten und nichts gegen den Untergang der Welt unternehmen zu können. Abgeschnitten von jedem Nachschub. Gefangene im Orbit… Matt schüttelte sich noch einmal und musterte die Sterne der Galaxis, die dort oben flimmerten wie ein Leuchtkäferschwarm.
***
Die Santanna fuhr stampfend dahin. Masten und Gestänge ächzten unter bösartigen Windstößen. Hin und wieder sah es so aus, als wollten die Buge des großen Katamarans in die schäumenden Wellenberge eintauchen. Die Rümpfe bebten unter dem Aufschlag des Wassers. Spritzwasser flog bis zu ihm an Deck hinauf. Matt stand rechts vom Ruderhaus an der Reling und betrachtete den flackernden Himmel. Seine Übelkeit war wie weggeblasen; er hatte sich an das ständige Schaukeln letztlich doch noch gewöhnt. Er freute sich darüber wie ein Schneekönig.
Außer dem Rudergänger, Tuman und ihm selbst als Deckwache hielt sich niemand im Freien auf. Tuman ging regelmäßig wie ein Uhrpendel vom Ruder zum Kompass. Er und der Rudergänger wurden von einer Laterne matt beleuchtet. Sie wirkten wie zwei Gespenster.
Tuman war mal hier und mal da; er schaute überall nach dem Rechten. Ein zuverlässiger Bursche, dem man sein Leben anvertrauen konnte. Aus der offenen Tür der mittschiffs befindlichen Kombüse fiel ein Lichtschein an Deck, in dem sich finster die drei Beiboote abhoben.
Plötzlich frischte der Wind heftig auf und riss lange Gischtfahnen von den Wogenkämmen. Hinter Matt knallte etwas ohrenbetäubend, und als er erschreckt herumfuhr, erblickte er Kapitaan Colomb.
Er war an Deck gekommen und stand in der Tür: Ein hochgewachsener Mann mit einem Raubvogelgesicht, gekleidet in einen dunkelroten Umhang, ein Lederwams und rote Pluderhosen aus dünnem Leder. Seine gelblichen Augen, der Ziegenbart und das im Sturmwind wehende Haar verliehen ihm etwas Dämonisches. Seine dröhnende Stimme übertönte das Rauschen der See, als er alle Mann an Deck befahl, um die Segel zu reffen.
Die Wellenberge türmten sich immer gewaltiger und steiler auf; das Schiff versank zwischen ihnen und fuhr dann ächzend zum Himmel hinauf. Schäumende Brecher rauschten über die Planken, brandeten an den Decksaufbauten empor und rissen Teile des Schanzkleids (brustwehrartige Erhöhung der Schiffswände auf beiden Seiten des Decks) ab. Die Mastspitzen der Santanna zeichneten verworrene Linien auf den zerrissenen, von jagenden Wolken finsteren Himmel.
Steuermann Jochim, der den Rudergänger nun ablöste, bemühte sich vergebens, das Schiff am Wind zu halten. Längst waren auch die Gaffelsegel aus dem Tauwerk geplatzt. Zu allem Überfluss brach plötzlich auch noch die Toppstenge(oberste Verlängerung des Mastes) des Großmastes. Unbarmherzig drosch sie beim Rollen des Schiffes gegen den Mast und auf die Takelage ein.
Colomb raufte sich den Bart, spähte mit schmalen gelben Augen zum Mast empor, drehte sich zur Mannschaft um und brüllte:
»Ein Freiwilliger vor! Wer wagt es? Zwei freie Tage dem, der die Stenge kappt!«
Zwei freie Tage! Wie Matt von Kuki erfahren hatte, bekam selbst ein Steuermann im Monat nicht mehr zugesprochen. War es tatsächlich so übel um die Santanna bestellt?
Die Seeleute zogen die Köpfe ein. Und wer ihn nicht einzog, entwickelte urplötzlich ein brennendes Interesse für die Astronomie.
Jochim umklammerte verbissen das Ruder, um zu dokumentieren, dass er mitnichten ein Feigling, sondern im Moment aufgrund der wilden See unabkömmlich war. Matthew Drax fragte sich erstaunt, ob er die Kerle, die bisher keine Gelegenheit ausgelassen hatten, ihm den Strammen Max vorzuspielen, falsch eingeschätzt hatte. War es möglich, dass sie doch intelligent waren? Dass ihre Fantasie ausreichte,
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