023 - Reise ohne Wiederkehr
sich auszumalen, was bei einem solchen Wetter mit ihnen passieren konnte, wenn sie aus den Wanten abstürzten und sich die Gräten brachen?
»Drei freie Tage!«, brüllte Colomb. Er schaute fragend in die Runde. Niemand trat vor oder hob den Arm. Sein Blick fiel auf Kuki, der mit einer Pfanne Brattofanen in der Hand in der Kombüsentür stand und das Chaos aus sicherem Abstand beobachtete. »Bei Wudan, Koch!«, rief er. »Zeig du diesen Memmen, was du kannst! Du bist doch schließlich mit der Schwarzen Natter gefahren!«
Niemand wagte zu lachen. Kuki tat so, als höre er Colomb nicht. Er hielt sich an der Bratpfanne fest, begutachtete ihren Inhalt, setzte eine hochkonzentrierte Miene auf und verschwand schließlich wieder in der Kombüse, als die Tofanen kalt zu werden drohten.
Kapitaan Colomb schaute sich um. Sein Blick fiel zum ersten Mal auf Matt, dem auf der Stelle klar wurde, dass er der entbehrlichste Mann an Bord war. In spätestens zehn Sekunden würde Colomb ihm den Befehl erteilen, nach oben zu klettern, um die um sich schlagende Stenge zu kappen. Und falls es ihm wirklich gelang, hatte er unter Befehl gehandelt, nicht als Freiwilliger. Und wer unter Befehl handelte, bekam keine drei Tage frei…
Matt wartete die nächste Welle ab. Als er sah, dass Colomb den Mund öffnete, holte er tief Luft und sprang vor.
»Ich melde mich freiwillig, Kapitaan!«
»Bist du des Wahnsinns?«, kreischte Kuki, der nun wieder in der Kombüsentür auftauchte. Er stellte die Bratpfanne ab und stürzte ins Freie, um Matt von diesem selbstmörderischen Unternehmen abzuhalten.
Doch es war schon zu spät. Tuman warf Matt aus dem Dunkel ein Enterbeil zu. Der schob den Stiel in seinen Gürtel, schickte ein stummes Stoßgebet zum Herrn der Elemente hinauf und hangelte sich am Großwant hinauf.
Zum Glück war die Nacht so schwarz, dass Matt kaum etwas sah. Der Regen klatschte ihm ins Gesicht, und er war in Sekunden nass bis auf die Haut. Ich bin Pilot, redete er sich verbissen ein. Ich habe keine Angst vor großen Höhen!
Er kam nur sehr langsam voran, da ihn einerseits die Furcht vor einem Absturz und andererseits das Wetter behinderte. Von der Gewalt des Windes gegen die Webleinen (quer über die Hoftaue befestigte, parallel zueinander laufende Leinen) gepresst, klammerte er sich nach jedem Griff mit aller Kraft fest, um nicht davon geschleudert zu werden.
Je höher er gelangte, umso heftiger schwang der Mast hin und her. Als der Mastkorb unter ihm lag, wagte er sich nicht mehr nach unten zu schauen. Körperlose Hände würgten ihn. Die Angst trieb eisigen Schweiß auf seine Stirn, den der Regen sogleich wieder abwusch. Matthew setzte den Weg nach oben fort. Über dreißig Mann schauten mit angehaltenem Atem zu.
Da war die Stenge! Draufhauen! Und noch einmal! Das Enterbeil hackte in den nassen Hanf. Festhalten! Sausendes Schwingen. Wild hämmerte das lose Rundholz gegen den Mast. Noch ein Hieb. Geschafft! Das Tau war durchtrennt ! Das Toppstag, an dem es gehangen hatte, brach. Jetzt die Wanten und das Tau der Rahsegel.
Draufgehauen. Durchgetrennt. Halt dich fest, alter Junge, halt dich bloß fest!
Sausen. Brausen. Salz auf den Lippen. Salz in den Augen. Salz im Mund. Angst im Herzen. Und der verdammte Wind zerrte an seinen Kleidern.
Matt hatte keine Ahnung, wie er letztlich an Deck zurückgekommen war. Die Planken unter ihm fühlten sich an wie der Boden des Paradieses. - Wie schwarz waren plötzlich Himmel und Meer! Überall schwarze Schleier.
Von allen Seiten eilten Männer auf ihn zu, nahmen ihn in Empfang, stützten ihn.
Kuki hielt eine Flasche an seine Lippen, und Matt öffnete den Mund. Das Gesöff, das in seine Kehle spritzte, war der übelste Fusel seit jenem legendären Tag, an den er nach dem Besuch beim Luftwaffenamt in Porz Wahn mit Colonel Compart in einer Kölner Schabau- Tränke versackt war.
»Festhalten!«, brüllte Lytnant Jochim vom Ruderhaus her.
Ein grellweißer Brecher überspülte das Deck. Die wirbelnde Flut durchnässte alle bis auf die Knochen. Als Matt wieder zu Atem gekommen war, klopfte Kapitaan Colomb ihm anerkennend auf die Schulter, drückte ihm drei bronzene Münzen in die Hand und schrie: »Ein Bonus, Seemann!«
Kurz darauf schleifte Kuki Matthew ins Logis im Hauptbug des Katamaran, trocknete ihn ab und wuchtete ihn in seine Hängematte.
Draußen heulte der Wind. Matt schlief vor Erschöpfung ein. Die Nacht verging.
***
Der nächste Morgen sah aus wie der Abend zuvor. Es wollte
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