0231 - Meer der weißen Särge
Gefühl, ein kleiner Filmstar zu sein und schaute wieder auf die beiden Totenkisten.
Irgendwie mochte er die weiße Farbe nicht. Sie stieß ihn ab. Särge waren für ihn meist dunkel, aber weiß…
Trotzdem, er wollte sie öffnen lassen. Zwei seiner Leute mußten Meißel oder ähnliches Werkzeug besorgen. Die beiden waren schnell wieder zurück.
Mario Gentile wollte es sich nicht nehmen lassen, den ersten Sarg persönlich zu öffnen. Er rechnete damit, eine Leiche zu finden.
Vielleicht sogar die eines langgesuchten Verbrechers. Möglich war schließlich alles. An die Wahrheit dachte er nicht im Entferntesten…
Um das Werkzeug in den Spalt zwischen Ober- und Unterteil einklemmen zu können, mußte er in die Knie gehen. Die beiden anderen Beamten umstanden ihn, was ihm auch nicht paßte und er ordnete an, daß sich die zwei um den anderen Sarg kümmern sollten.
Vom Nebenboot wurde gefragt, ob der dritte Sarg auch geöffnet werden sollte.
Gentile überlegte einen Moment. »Ja!« rief er dann zurück.
Sein Herz klopfte schneller. Zwar stand er hier wie auf dem Präsentierteller, das machte ihm jedoch nichts. Er wollte sehen, was sich in der Totenkiste befand.
Seine Hand zitterte ein wenig. Darüber ärgerte er sich zusätzlich.
Viermal mußte er ansetzen, um die schmale Kante des Werkzeugs zwischen die beiden Teile zu drücken.
Geschafft!
Gentile schwitzte, als er den meißelähnlichen Gegenstand als Hebel benutzte. Er spürte, wie sich das Holz bewegte, wie eine Lücke zwischen Unter- und Oberteil entstand, und das gleiche geschah mit dem zweiten Sarg, um den sich seine Leute kümmerten.
»Soll ich ihnen helfen?« fragte der Steuermann des Bootes.
Gentile hatte einen roten Kopf bekommen. »Nein, zum Teufel, ich schaffe das allein!«
»Dem Commissario habe ich Bescheid gegeben. Er kommt mit dem Hubschrauber.«
»Wie schön für ihn!« keuchte Gentile und lachte leise auf, als er es geschafft hatte. Jetzt konnte er das Oberteil abheben. Er legte den Meißel zur Seite, bückte sich, packte mit beiden Händen an und hob den Deckel in die Höhe.
Er war doch schwerer, als er gedacht hatte. Gentile kippte sich den Deckel entgegen, so daß ihm die Sicht in den Sarg versperrt blieb. Hätte er etwas sehen können, so hätte er den Deckel sicherlich wieder fallen gelassen, so aber nahm das Unheil seinen Lauf.
Zuerst hörte er den Schrei eines Kollegen. Gentile ließ den Deckel hastig los. Er sah seinen Kollegen neben dem Sarg stehen und schaute selbst in die Totenkiste.
Mario Gentile wurde ebenso bleich wie die übrigen Polizisten.
Was er da sah, war ungeheuerlich.
Im Sarg lag eine Eule!
Aber keine normale. Sie besaß einen gefiederten Körper, doch ihr Kopf bestand aus einem Skelettschädel, in dem nur der Schnabel wie eine spitze Hacke vorstach.
Damit hatte wohl keiner der Beamten gerechnet. Aber einer von ihnen entdeckte es zuerst. Er schrie die Worte, und sie hallten über den berühmten Canale.
»Die Eule lebt!«
Erst jetzt sah Mario Gentile das Zucken ihrer Flügel. Im gleichen Augenblick schien sie ein Kraftstrom zu durchfahren, denn sie schnellte förmlich in die Höhe.
Wie ein Blitz kam sie aus dem Sarg, breitete die Flügel aus und flatterte plötzlich über ihrer Totenkiste. Aber nur für einen Moment blieb sie in der Luft stehen, dann hatte sie ihr Ziel gefunden.
Mario Gentile!
Dessen Gesicht verzerrte sich, als er das Monstrum so dicht vor seinen Augen sah. Er wollte den Kopf noch zur Seite nehmen, doch die Eule war einfach zu schnell. Sie hackte ihre Krallen in sein Revers, blieb so hocken, bewegte ihren beinernen Totenschädel nach vorn und hieb mit dem messerscharfen Schnabel zu.
Messerscharf war wirklich der richtige Ausdruck. Dieser krumme Schnabel hatte mitten ins Ziel getroffen. Das war der Hals des jungen Polizeioffiziers.
Er selbst sah das Blut. Sein Blut, das aus der Wunde spritzte, die Eule übergoß und sogar in die Augenhöhlen drang. Erst dann spürte er den Schmerz.
So etwas hatte er noch nie im Leben erlebt. Gentile glaubte, sein Hals würde zerrissen. Plötzlich bekam er keine Luft mehr, er wollte seine Arme noch nach vorn bringen, um die Eule zu packen, selbst das gelang ihm nicht.
Gentile war zu schwer verletzt.
Und er merkte mit einer nahezu brutalen Deutlichkeit, wie das Leben aus seinem Körper wich. Auf den Beinen konnte er sich nicht mehr halten, die Knie gaben nach, das Boot und der Sarg drehten sich vor seinen Augen, dann fiel er langsam nach
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