0231 - Meer der weißen Särge
müssen.«
»Natürlich.«
»Erinnern Sie sich noch an den Weg, den Ihr Freund und Sie in der vergangenen Nacht gegangen sind?«
»Möglich.«
»Könnten Sie ihn aufzeichnen?«
Franca atmete tief durch. Dann hob sie die Schultern. »Ich weiß es nicht, ob ich die Wege noch im Kopf habe. Wenn ich sie gehen würde, dann könnte ich mich vielleicht daran erinnern…«
»Versuchen Sie es!« drängte ich.
Sie senkte den Kopf. Der Kommissar stand auf, nahm einen Block nebst Bleistift und ging zu ihr. »Bitte.« Er drückte ihr beide Dinge in die Hand.
Da meldete sich das Telefon. »Verdammt, ich wollte doch nicht gestört werden!« schimpfte Tolini, ging zum Apparat und hob ab.
Ich sah es seinem Gesicht an, daß er mit einer Schimpfkanonade loslegen wollte, doch das erste Wort schon blieb ihm mitten im Hals stecken, denn er hörte schweigend zu. Nur sein Gesicht war interessant zu beobachten. Es zerfiel immer mehr und wurde bleich.
Schweiß stand plötzlich auf seiner Stirn. Als er den Hörer schließlich auf die Gabel legte, blieb auf dem Kunststoff ebenfalls ein Schweißflecken zurück.
»Was ist geschehen?« fragten Suko und ich wie aus einem Munde.
»Die Vampire und die Särge. Sie sind vor der Küste gesichtet worden und befinden sich wahrscheinlich bereits in Venedig…«
***
Diese Nachricht hatte uns fast aus den Schuhen gehauen. Auch ich spürte, daß ich schwitzte, und das hatte auch nicht aufgehört, als wir vom Dach des Polizeigebäudes mit dem Hubschrauber starteten.
Wir hatten uns dazu entschlossen. Franca lief nicht weg. Sie hatte uns versprochen, ihre Aussagen schriftlich zu fixieren, aber die Särge oder die roten Riesenfledermäuse mußten wir einfach finden.
Commissario Tolini hatte die Idee mit dem Hubschrauber gehabt.
Ein Pilot flog, der Kommissar saß neben ihm, wir beide hockten auf den hinteren Sitzen und schwitzten weiter, denn die grellen Sonnenstrahlen prallten durch die Kanzel aus Glas.
Tolini hatte uns auch erklärt, wo die Särge und die. Fledermäuse entdeckt worden waren. Vor der Stadt, noch über dem Meer. Ein Katzensprung mit dem Hubschrauber, und vielleicht sahen wir noch etwas.
Unter uns wischte Venedig dahin. Ein Wirrwarr aus Kanälen, Brücken, Häusern und Plätzen. Dazwischen die Menschen. Sie wirkten wie Ameisen. Aber ihre Kleidung und die bunten Markisen der Geschäfte waren belebende Farbtupfer in den von oben manchmal grau wirkenden Straßenschluchten.
Dann öffnete sich unter uns der Marcusplatz. Zahlreich die Tauben, diesmal allerdings lebende, die unter dem Hubschrauber wegstrichen. Rasch war der Marcusplatz vergessen, wir flogen jetzt in Richtung Meer, sahen schon bald die Dächer der Hotels und den langen Lido, den Strand, auf dessen Sand sich jetzt bereits die ersten Menschen sonnten.
Da kam das Verlangen nach Urlaub auf, aber ich dachte an die großen Vampire.
Wir hatten einen Vorteil. Diese Bestien konnten tagsüber nicht bestehen, da mußten sie sich verkriechen. In irgendwelchen dunklen Höhlen oder Schlupflöchern. Erst wenn die Dunkelheit angebrochen war, kamen sie wieder heraus. Mit den Vampiren brauchten wir also nicht zu rechnen. Wohl mit ihrem Anführer, Vampiro-del-mar. Ihm machte das Tageslicht wohl nichts aus. Ob es ihn schwächte, wußte ich nicht.
Besonders hielten wir nach den weißen Särgen Ausschau. Bis jetzt hatte niemand von uns eine derartige Totenkiste entdeckt.
»Ob die schon in die Stadt geschwemmt wurden?« rief Suko gegen den Lärm des Motors an.
Ich hob die Schultern. Hoffentlich war das nicht eingetreten, denn wenn die Strigen freikamen und über die Menschen herfielen, gab es mindestens Verletzte, falls nicht sogar Tote. Verzweifelt grübelte ich über das Motiv nach. Was trieb die beiden Feinde, Strigen und Vampire hier zusammen? Noch wußten wir nichts, gar nichts…
Der Pilot drehte nach Norden ab. Unter uns lag jetzt die Wasserfläche der Adria. Herrlich anzusehen. Erste Segelboote fuhren. Die Inseln erschienen, und die Boote kreuzten zwischen ihnen. Nichts deutete auf die weißen Särge hin.
Unser Ziel war eine Insel, auf der ein Luxushotel stand. Wer hier wohnte, gehörte zu den Oberen Fünfhundert. Der Pilot steuerte die Insel im Direktflug an.
Wir sahen schon das Hotel. Kein moderner Bau, sondern von außen mehr ein alter Kasten. Dahinter lagen die Grünflächen eines Golfplatzes, und es schimmerte auch der dunkelrote Kunststoff von Tennisplätzen. Ein Landeplatz für Hubschrauber gab es ebenfalls.
Er war mit
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