0231 - Wenn es Nacht wird in Soho
verdammt, sie haben recht damit! dachte Cavendish, der nichts weiter als ein ganz kleiner Fisch unter den Ganoven war. Ich laß’ mich doch nicht verrückt machen!
Wo blieb Gordon heute aber auch so lange? Sein Komplize wußte doch, daß bei Cavendish die Zeit immer auf den Nägeln brannte. Je eher er die Hehlerware in Händen hatte, desto rascher konnte er sie nach seinen Kategorien sortieren und wieder veräußern. Er hatte Diebesgut ungern länger als eine Nacht in seiner Wohnung. Aber je später der Abend wurde, desto geringer wurde die Chance, die Ware zu einem guten Preis auf die Schnelle abstoßen zu können. Selbst Mike Cavendish brauchte ein wenig Zeit, um die Käufer seinen Vorstellungen entsprechend einzuwickeln…
Cavendish zuckte zusammen, als er den klagenden Laut eines Käuzchens hörte, das in unmittelbarer Nähe auf einem Baum sitzen mußte. Der Schrei berührte ihn seltsam. Jugendängste, mit den Rufen eines Nachtvogels verbunden, stiegen in ihm hoch. Er schluckte benommen, weil er sich nicht erklären konnte, warum ihm diese Nacht so viel mehr zusetzte als die Dutzende Nächte zuvor, in denen er auf die Übergabe der Hehlerware gewartet hatte.
Cavendish verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust, stampfte lautlos mit den Füßen auf und ab und horchte angestrengt in die zunehmende Dämmerung.
Lange konnte er die Arme in dieser Haltung allerdings auch nicht belassen. Deshalb steckte er sich eine neue Zigarette an.
Er hatte das Stäbchen gerade im Mund und nahm einen tiefen Zug, als er es auch schon wieder ausspuckte und die Glut am Boden zertrat.
Er hatte etwas gehört.
Cordon?
Stimmen näherten sich Cavendishs Aufenthaltsort, den er bewußt etwas abseits der oft begangenen Spazierwege gewählt hatte. Gesellschaft konnte er bei seinen zwielichtigen Unternehmungen nicht gebrauchen.
Außer den Stimmen waren auch Schritte zu vernehmen.
Cavendish drückte sich enger an den Baum. Der Schweiß brach ihm aus den Poren; er wußte nicht warum. Schließlich war er nicht in akuter Gefahr. Die heiße Ware befand sich noch nicht in seinem Besitz, und es mochte zwar ungewöhnlich, niemals jedoch strafbar sein, wenn er sich nach Einbruch der Dunkelheit noch in einem entlegeneren Teil des Parks aufhielt.
Trotzdem schwitzte er.
Mit größter Vorsicht spähte er am Stamm vorbei in das diffuse Dunkel, das vom Sternenlicht etwas aufgehellt wurde. Gerade genug, um ein Minimum an Bewegungen erkennen zu können.
Cavendish sah zwei menschliche Silhouetten, die sich kaum einen Steinwurf von seinem Versteck entfernt auf dem feuchten Rasen des Parks niederließen und sich miteinander unterhielten. Den Stimmen zufolge handelte es sich um einen Jungen und ein Mädchen, beide noch ziemlich jung.
»Muß es unbedingt hier im Freien sein?« hörte er das Mädchen. »Noch dazu um diese Zeit? Sehr behaglich ist das ja nicht gerade, Georgy.«
Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Cavendish gereizt. Eines jener verhinderten Liebespärchen, die bestenfalls gerade volljährig waren und zu Hause nirgends die gewünschte Ruhe fanden, um sich einander mehr zu nähern als beim Händchenhalten.
So komisch er die Situation zu einem anderen Zeitpunkt gefunden hätte, so wenig konnte er jetzt darüber lachen. Wenn Gordon ausgerechnet jetzt auftauchte…
»Was heißt hier behaglich«, klang die piepsige Stimme von Georgy auf. »Du hast selbst gesagt, du willst endlich wissen, wie das ist als Frau. Als richtige Frau. Und für ein Hotel reicht wohl weder dein noch mein Taschengeld. Aber bitte, wenn du willst, können wir auch auf dein Zimmer gehen…«
»Du weißt, daß das nicht geht.«
»Eben.«
Es folgte eine Weile Schweigen.
Ich muß verschwinden, überlegte Cavendish. Das wird heute sowieso nichts mehr. Na, dir werd ich was erzählen, mein Lieber.
Er meinte Gordon.
Der sich jetzt vielleicht in irgendeinem schmierigen Pub vollaufen ließ, die Tasche mit dem gestohlenen Zeug unter dem Tisch. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Gordons Vorstrafenregister, ellenlang wie es war, resultierte größtenteils aus seinem oft dumm-kindlichen Verhalten. Cavendish fragte sich, warum er, obwohl er es wußte, dennoch mit dem Typen zusammenarbeitete. Er fragte es sich häufig, ohne jemals eine Antwort zu finden.
Von vom hörte er Geräusche, die nur von wildem Geknutsche stammen konnten.
Er zögerte jedoch sich abzusetzen, weil er fürchtete, von den beiden bemerkt zu werden.
Verdammt, und warum fürchtete er sich.
Sie
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