0235 - Die Kaste der Weißrüssel
Dann hatte er zwei Jahre als Kellner gearbeitet und Schulen besucht. Es war ihm gelungen, sich gefälschte Zeugnisse und Pässe zu beschaffen und in die Flotte aufgenommen zu werden.
Niemand durfte je von Baynes wirklicher Vergangenheit erfahren.
Baynes blickte durch das Fenster in die Dunkelheit des scheinbar endlosen Tunnels. Er sah sein eigenes Gesicht in der Scheibe. Langsam griff er nach seiner Mundharmonika.
„Stört es Sie, wenn ich spiele, Sir?" fragte er Rhodan.
„Keineswe gs, Fähnrich", gab Rhodan zurück. „Es wird uns auf andere Gedanken bringen."
Weiter raste der Zug durch das Adernsystem des toten Giganten. Es war eine unwirkliche Fahrt, die jetzt wieder in die Tiefe führte. Baynes setzte das Instrument an die Lippen und schloß die Augen. Dann spielte er dreimal hintereinander Rhapsodie in Blue ohne einen einzigen Fehler.
*
Baynes hatte aufgehört zu spielen.
Das gleichmäßige Dahingleiten des Interkastenzuges machte ihn müde. Ab und zu unterhielt sich Perry Rhodan leise mit John Marshall. Kasom saß mit geschlossenen Augen auf seinem Platz, während Tolot unbeweglich in der Mitte des Abteils stand. Keine noch so rasende Kurvenfahrt vermochte den Haluter zu erschüttern.
Baynes fragte sich, was im Kopf des Riesen vorging. Er fühlte sich von Tolot gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Baynes traute dem Haluter eine unbestechliche Objektivität bei der Beurteilung anderer Personen zu. Er befürchtete, Tolot könnte ihn durchschauen. Dagegen imponierte es dem Fähnrich, daß Tolot jedes neue Abenteuer mit freudiger Begeisterung quittierte.
Baynes wandte den Kopf, so, daß er Atlan sehen konnte. Der Arkonide war noch schweigsamer als John Marshall. Die innere Würde, die Atlan ausstrahlte, trug nicht dazu bei, Baynes für ihn einzunehmen.
Dabei war ihm Atlan nicht unsympathisch. Er glaubte jedoch, daß er vor den Augen dieser Männer nicht bestehen könnte. Sie repräsentierten all das, wonach er strebte.
Lord Baynes kniff die Augen fest zusammen. Vom Geburt an waren diese Männer vom Glück begünstigt worden, sagte er sich. Man hatte sie förmlich in diese Stellungen hineingedrängt. Und nun waren sie mächtig, erfahren und gelassen. Ein Mann wie Kendall Baynes bedeutete ihnen nichts.
Baynes wünschte sich, daß er ihnen beweisen könnte, was wirklich in ihm steckte. Schließlich konnte er mehr, als man ihm seiner Stellung nach zugetraut hätte.
Den Männern im F-Deck hatte sich Baynes überlegen, zumindest jedoch gleichwertig gefühlt. Er hatte gelernt, daß selbst so erfahrene Kämpfer wie ,Sergeant Kapitanski viel zu langsam dachten, um in entscheidenden Augenblicken schnell genug eine Entscheidung treffen zu können. Baynes bedauerte, daß man seinen Antrag auf Versetzung in eine Feuerleitzentrale abgelehnt hatte. Dort hätte er leichter beweisen können, wozu er fähig war.
In zwei Jahren würde man ihn zum Oberfähnrich befördern, weitere zwei Jahre später konnte er mit einem weiteren Sprung nach oben rechnen. Das würde jedoch nicht viel ändern, wenn es ihm nicht gelang, den entscheidenden Schritt in die Führungsspitze eines großen Raumschiffes zu tun.
Es geht alles so verteufelt langsam, dachte Baynes schläfrig. Manchmal befürchtete er, daß, wenn er älter wurde, er alle seine guten Ideen verlieren würde. Es war immerhin denkbar, daß sein Gehirn aufhörte, gute Einfälle zu produzieren, wenn ihm nie jemand richtig zuhörte.
Mit diesen Gedanken schlief Baynes endgültig ein. Er erwachte erst wieder, als ihn jemand am Arm schüttelte.
„Werden Sie munter, Fähnrich?" rief Kasom mit dröhnender Stimme. „Der Zug scheint bald wieder zu halten."
Baynes blinzelte verwirrt und sah in die Richtung des Fensters. Draußen war noch alles dunkel, sie durchführen also noch immer das Adernsystem. Baynes bedauerte, daß man ihnen zum größten Teil auch die Uhren abgenommen hatte. Sicher wollten die Twonoser kein Risiko eingehen.
Baynes vermutete, daß man auf der Erde den 25. Juli 2402 schrieb. Eigentlich war dieses Datum völlig unwichtig. Unruhig räkelte sich Baynes im Sessel. Er spürte jetzt ebenfalls die Verlangsamung des Interkastenzuges.
„Glauben Sie, daß wir jetzt am Ziel ankommen?" fragte Rhodan den Mutanten.
„Nein, Sir", antwortete Marshall überzeugt. „Den Gedanken der Wächter kann ich entnehmen, daß wir eine weitere Zwischenstation anfahren. Dort werden einige Haushaltsverbrecher zusteigen.
Er lächelte. „Fragen Sie mich jetzt nicht,
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