0235 - Die Kaste der Weißrüssel
Gebrauch machten, doch Baynes sagte sich, daß sie sich in einer ungewöhnlichen Situation befanden, die eine regelmäßige Überwachung seiner Pläne gerechtfertigt hätte. Er konnte nur hoffen, daß Marshall intensiv mit den Twonosern beschäftigt war. Der Interkastenzug fuhr aus dem Wohngebiet hinaus. Baynes sah stufenförmig angelegte Bauwerke vor dem Fenster auftauchen, die weder Fenster noch Türen zu besitzen schienen.
Wahrscheinlich befanden sich die Eingänge auf der anderen Seite. Die Twonoser besaßen keinen einheitlichen Baustil. Entweder veränderte sich ihre Bauweise von Generation zu Generation, oder sie errichteten ihre Gebäude völlig willkürlich nach den jeweiligen Erfordernissen.
Die Bauwerke in der Rückenetage waren Baynes schöner vorgekommen. Hier, im Wohngebiet der Blaurüssel, gab es nur reine Zweckbauten. Baynes sah nicht einen einzigen Park. Auch schien es in dieser Halle keine Anpflanzungen zu geben.
Wenn die B-Kaste alle militärischen Aufgaben verrichtete und gleichzeitig den Polizeidienst versah, hatten die Blaurüssel sicher keine Zeit für irgendwelche anderen Arbeiten. Baynes fragte sich, warum die B-Kaste nicht die Macht übernahm, sondern sich willig der C-Kaste unterordnete. Militärisch mußte die B-Kaste der C-Kaste weit überlegen sein.
Warum konnten die Twonoser keine homogene Gesellschaft bilden? Das hätte alles wesentlich vereinfacht. Dieser Kastensystem komplizierte jeden Versuch, den Gegner zu verstehen.
Baynes begriff erstaunt, daß er sich unbewußt einen Gedanken Perry Rhodans angeeignet hatte. Das hatte jedoch nichts zu bedeuten. Natürlich erkannte auch Baynes die Schwierigkeiten des Problems. Er hätte aber völlig andere Maßnahmen zu seiner Lösung ergriffen.
Angriff galt schon immer als die beste Verteidigung, dachte Baynes, während der Zug immer schneller wurde.
„Ich bin gespannt, was uns an der nächsten Station erwartet", unterbrach Kasoms Stimme seine Gedanken. „Bestimmt hält der Zug noch einige Male, bevor wir unser Ziel erreicht haben."
Ohne seine Geschwindigkeit zu verlangsamen, raste der Zug einen langgezogenen Hügelkamm hinauf.
Baynes preßte sein Gesicht gegen das Fenster. Als er nach oben blickte, sah er, daß die Hallendecke hier nur noch dreißig bis vierzig Meter entfernt war. Ihre Farbe erinnerte Baynes unwillkürlich an Marzipan.
Gleich darauf meldete sich sein Magen. Sie hatten schon längere Zeit nichts mehr zu Essen bekommen.
„Wann erhalten wir wieder Nahrung, Sir?" fragte er und wandte sich vom Fenster ab.
„Ich glaube nicht, daß wir von den Rotrüsseln noch etwas bekommen", erwiderte Rhodan. „Wir werden uns mit allen Wünschen an die A-Kaste wenden müssen, wenn wir in deren Wohngebiet angekommen sind."
„Vielleicht bekommen wir ein saftiges Bioparasiten-Steak mit viel Zwiebeln", sagte Kasom hoffnungsvoll.
„Dieses Zeug würde ich niemals anrühren", erklärte Baynes würdevoll.
Kasom lachte dröhnend. „Was glauben Sie, haben Sie in den vergangenen Tagen gegessen?"
Baynes erschauerte. Er fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Wie verroht mußte dieser Ertruser sein wenn er über solche Dinge noch lachen konnte? Baynes begann Tolot zu beneiden. Mit seinem Konvertermagen konnte der Haluter praktisch alles verspeisen, was ihm unter die Finger kam.
Der Zug fuhr in einen Tunnel. Vor dem Fenster wurde es dunkel. Gleichzeitig hatte sich die Abteilbeleuchtung wieder eingeschaltet. Baynes spürte, daß seine Hände zitterten. Er war sich bewußt, wie weit er von der Erde entfernt war und wie wenig Aussicht bestand, daß er in nächster Zeit dorthin zurückkehren konnte. Er wünschte, Kapitanski wäre bei ihm gewesen. Der mürrische, ungebildete Sergeant schien der einzige Mann vom F-Deck zu sein, der ihn verstand. Aber es gab genügend Dinge, über die Baynes auch mit Kapitanski nicht sprechen konnte.
Was würde geschehen, wenn die Mannschaft im F-Deck jemals erfuhr, daß Kendall Baynes keineswegs von einer berühmten Familie abstammte?
Baynes fühlte, wie die alte Wunde in seinem Innern wieder aufbrach.
Er erinnerte sich, wie man ihn mit sechzehn Jahren in ein Erziehungsheim gebracht hatte. Der Leiter des Heims, ein dicker Mann mit einem vom Alkohol geröteten Gesicht, hatte Baynes angeblickt und zu ihm gesagt: „Du kommst aus dem Dreck und wirst immer Dreck bleiben. Deshalb wirst du von uns auch wie Dreck behandelt."
Baynes hatte ihn zu schlagen versucht und war drei Tage spä ter aus dem Heim ausgebrochen.
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