0235 - Disco-Vampir
würden.
Der Geselle war verzweifelt. Wer konnte ihm sagen, wo er hier die Herberge der Schneiderzunft finden würde? Eben verblaßten die letzten Sterne. An den Geräuschen aus den Häusern hörte er, daß die Stadt langsam begann, aus dem Schlaf zu erwachen.
Das Klappern schwerer Hufe drang an Heinleyns Ohr. Gewiß, dort spannte man Pferde ein. Da, hinter diesem großen schwarzen Tor mußte es sein.
Vielleicht konnte ihm der Fuhrmann weiterhelfen. Denn der Schneidergeselle spürte, wie seine Kräfte schwanden. Der Blutverlust schwächte den sonst recht kräftigen Körper zusehends.
Er wankte mehr als er ging auf das alte Römertor zu, das als die Porta Nigra, die Schwarze Pforte, bekannt ist. Als Kirche umgebaut hatte das alte Römertor die Jahrhunderte überstanden. Auf Geheiß des Franzosenkaisers Napoleon war es wieder so hergerichtet worden, wie es aussah, als noch Roms siegreiche Legionen unter den mächtigen Torbogen hindurch paradierten.
Und unter dem gewaltigen Schatten der Porta Nigra erfüllte sich das Schicksal des Tobias Fürchtegott Heinleyn. Mochte der Teufel in die Pferde gefahren sein, deren Hufschlag er soeben gehört hatte.
Mächtig wuchsen die massigen Leiber von zwei Brabanter Kaltblütern vor Heinleyn auf. Das Rasseln der Geschirrketten, das Rollen der Räder auf dem unebenen Pflaster und das Klappern des Hufschlages der schweren Rosse fuhren dem Schneidergesellen so ins Gebein, daß er für den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt war.
Und in diesem schicksalshaften Moment war das durchgehende Gespann heran. Das letzte was Heinleyn hörte, war das Fluchen des hinter seinen Pferden herhetzenden Fuhrmannes.
Dann war nur noch das Schnauben der Pferde. Entsetztes, trompetenhaftes Wiehern. Und ein rasender Wirbel stampfender Hufe.
Die Schwärze des Todes nahm Tobias Fürchtegott Heinleyn auf…
***
Der Sarg wies zwar genügend Spuren von Würmern auf, aber irgend etwas hatte das eklige Gezücht daran gehindert, sich durch das Holz in den verwesenden Leichnam zu bohren.
Neugierig beschloß Werner Süßenbach, den Sarg vorsichtig auszugraben. Vielleicht hatte man dem Toten im Inneren irgendwelche Schmuckstücke mit ins Grab gegeben, die man gewinnbringend an die Antiquitätenhändler verkaufen konnte. Geldgier kroch in Süßenbach hoch. Es würde ihm keine Gewissensbisse bereiten, eine Leiche auszuplündern.
Den Kollegen gegenüber jedoch bewahrte er Stillschweigen. Das hätte grade noch gefehlt, daß er mit anderen Mitwissern teilen mußte. Dieses Geschäft wollte er alleine machen.
Vorsichtig schob er die Erde von dem Sarg weg. Schon war die große Kiste aus massivem Eichenholz zu drei Vierteln freigelegt. Süßenbach wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht. Da sah er in der Erde etwas schimmern. Das auftreffende Licht der Sonne ließ einen Gegenstand erblinken, der seit mehr als hundert Jahren dem Schoß der Erde anvertraut war.
Neugierig beugte sich Süßenbach herab. Seine Hände wühlten im Erdreich. Dann zog er die ungewöhnliche Grabbeigabe aus dem Lehm hervor. Augenblicke später hatte er den Gegenstand an seiner Hose blankgeputzt.
Werner Süßenbach hielt den Atem an, als er sah, was ihm das Schicksal in die Hände gespielt hatte. Das Licht der Sonne glimmerte auf ein handtellergroßes Kreuz aus gediegenem Silber…
***
Der Pfarrer hatte sich zurückgezogen, nachdem er in Eile seine Litanei heruntergehaspelt und einige Schaufeln Erde auf den Sarg gestreut hatte. Der Tote, den die kühle Erde hier aufnahm, war ein Fremder in Trier. Ein wandernder Schneidergeselle, wie aus dem mitgeführten Innungsbuch hervorging. Aber er hatte in Trier weder Verwandte noch Freunde.
Doktor Sternbach, der Arzt, der den Totenschein des Fremden ausgestellt hatte, sorgte dafür, daß dem Unglücklichen, den das durchgehende Fuhrwerk überrollt hatte, ein christliches Begräbnis zuteil wurde.
Und als einziger Mensch stand Doktor Sternbach jetzt noch am Grabe. Den Kopf gebeugt, starrte er auf den lieblos heruntergelassenen Sarg. Höchstens noch eine halbe Stunde. Dann würden die Totengräber erscheinen und das Grab zuschaufeln.
Aber bevor das geschah, hatte der wohl angesehene Arzt aus Trier noch etwas zu tim. Denn ihm waren zwei Einstiche am Halse des Verblichenen aufgefallen, die offensichtlich nichts mit den Verletzungen zu tun hatten, die durch die durchgehenden Pferde entstanden waren.
In der Nacht nach der Untersuchung hatte Sternbach in seinen Büchern und
Weitere Kostenlose Bücher