0235 - Disco-Vampir
Knotenstock schwang.
»Blut!« zischte es ihm aus zusammengepreßten Lippen entgegen.
»Dein Blut…!«
Dann war das Wesen aus der Finsternis heran. Heinleyn fühlte, wie Hände nach ihm griffen, in denen die Kraft von Schraubstöcken zu wohnen schien. Wie die Krallen eines großen Greifvogels wurden sie in die Kleidung des jungen Mannes geschlagen.
Für den Bruchteil einer Sekunde standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Wie der Strahl eines dämonischen Banns legte es sich über Heinleyns Gemüt. Aus dem Gesicht des Greises sprach eine ungestillte Begierde.
Zusammengepreßte, blutleere Lippen öffneten sich. Im bleichen Schimmer des Vollmondes glänzten zwei Reihen blendend weißer Zähne. Aber es war nicht das Gebiß eines normalen Menschen! Das, was Heinleyn hier sehen mußte, sprach dem greisenhaften Alter des Angreifers Hohn.
Alle Kraft wich aus dem Körper des Schneidergesellen. Die Hand mit dem Knotenstock sank herab. Denn das Gebiß hätte mit jedem Raubtier wetteifern können.
Die stark ausgeprägten Eckzähne glichen geschliffenen Dolchen. Der Schreck ließ Tobias Fürchtegott Heinleyn vor Grauen die Augen schließen.
Rasender Schmerz brachte ihn wieder zu sich. Heinleyn verspürte zwei Einstiche an seiner Halsschlagader und daran ein seltsames Ziehen. Das Geschöpf aus dem Dunkel hatte ihn gebissen. Und saugte jetzt sein Blut aus. Sollte das ein solcher »Vampyr« sein, von denen die Mägde sich in den Spinnstuben gruselige Geschichten erzählten?
Was immer es war, es würde ihn töten, wenn es ihm den Lebenssaft weiter entzog. Allen Willen,, alle Kraft legte Tobias Fürchtegott Heinleyn in seinen rechten Arm.
Er ließ den Knotenstock, an dem sein Reisebündel hing, erst einmal durch die Luft wirbeln. Dann schlug er zu.
Der Aufprall warf den Angreifer sofort zurück. Haß sprühte aus seinen Augen. Aus den Mundwinkeln flossen zwei rote Blutfäden. Kaum hatte sich die Gestalt gefangen, duckte sie sich zusammen wie eine Katze, die springen will.
Tobias Fürchtegott Heinleyn sah ihn nur noch wie durch purpurne Nebel, die vor ihm auf und nieder wallten. Er war seiner selbst nicht mehr mächtig, als er noch einmal den Knotenstock schwang.
Der Hieb traf den Angreifer, als er mit einem unartikulierten Schrei erneut auf sein Opfer zusprang. Die Gestalt aus der Finsternis wurde voll getroffen und zurückgeschleudert. Die Arme des Schwarzen ruderten in der Luft herum, als suche er irgendwo Halt.
Dann stürzte er in den Graben neben der Landstraße. Mit einem Sprung war Heinleyn heran. Aber erschrocken prallte er zurück.
Aus dem schwarzen Körper des Gegners schien Dampf zu dringen.
Und das vorher schon greisenhafte Gesicht verfiel zusehends. Zwei Herzschläge später glich die Haut nur noch einem ledrigen Überzug, der sich über einen bleichen Totenschädel spannte. Aus dem Mund kam ein Stöhnen wie von einer Folterbank. Knirschend mahlte das schreckliche Gebiß aufeinander.
Mit weit aufgerissenen Augen mußte Tobias Fürchtegott Heinleyn sehen, wie der Leib seines Gegners vor seinen Augen verfiel.
»Ein Vampyr!« murmelte er und wischte mit seinem Taschentuch das im Bruchteil von Sekunden geronnene Blut von seinem Hals. »Wirklich das muß ein Vampyr sein…!«
Aufkommender Herbstwind verwehte nicht nur die Blätter der an der Straße wachsenden Silberpappeln, sondern auch den zerfallenden Leib. Von fern hörte Heinleyn die Glocken des Domes zu Trier die Mitternachtsstunde läuten. Geisterstunde! Die Zeit der Gespenster und der Toten aus dem Grabe.
Aber ein Wesen der Dunkelkeit konnte nun den Menschen nicht mehr schaden! Die Hölle hatte den Blutsauger aufgenommen. Jetzt mußte er für seine Taten im Leben als Mensch und in seinem Halbleben büßen. - Zunächst einmal für die Zeit einer Ewigkeit.
Aber es war ein fürchterlicher Fluch, den er über den Schneidergesellen gebracht hatte!
Davon ahnte Heinleyn jedoch im Moment noch nichts. Denn er hatte sich nie besonders für die Sagen und Legenden interessiert, mit denen sich die Mägde in den Spinnstuben gegenseitig zum Gruseln brachten. Und so wußte er auch nicht, daß ein Mensch, den ein Vampir gebissen hat, selbst zum Vampir wird. Ob er will oder nicht - er wird zum Träger des bösen Erbes…
Neugierig beugte sich Heinleyn nieder. Tatsächlich, die Gestalt hatte sich völlig aufgelöst. Aber warum? Dafür fand der Schneidergeselle keine rechte Erklärung. Den kleinen Weißdomstrauch, in den die Gestalt aus dem Dunkel gestürzt war,
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