0235 - Disco-Vampir
Münder wurden aufgerissen zum lauten Schrei. Aber nichts war zu hören. Und dann sah der Meister des Übersinnlichen, wie sie zusammenbrachen.
»Sind sie… sind sie tot?«, fragte Carsten Möbius flüsternd.
»Das Böse in ihnen ist tot!« erklärte Zamorra mit matter Stimme, denn der Machtspruch forderte ihm alles ab, was er körperlich und seelisch zu geben hatte. Aber der Meister des Übersinnlichen hatte nicht gezögert, ihn anzuwenden. Denn nun war das Erbe der Schwarzen Familie, das diese Menschen in sich trugen, tot.
»Der Fluch ist erloschen!« hauchte Zamorra. »Da, sie bewegen sich wieder. Das Erbe der Hölle ist von ihnen genommen. Sie werden leben!«
Nicole Duval stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie sah, daß die jungen Leute aus der Disco sich tatsächlich erhoben und sich gegenseitig ansahen. Aus ihren Augen sprach Unverständnis.
»Sie wissen nicht, was los war!« flüsterte Zamorra. »Halt mich, Micha. Dann habe ich die Kraft, ihnen noch eine angenehme Illusion zu zaubern…!«
Michael Ullich und Carsten Möbius stützten den Parapsychologen, während dessen Lippen Worte in einer unbekannten Sprache murmelten.
Da schien so etwas wie eine Erinnerung bei den sie umstehenden Menschen aufzukommen.
»Toll, was die sich da haben einfallen lassen!« hörte Ullich die Stimme eines Vorbeigehenden. »Ein Feuerwerk in den Kaiserthermen. Ganz große Klasse. Hat sich gelohnt, hierher zu gehen, wie der Disc-Jockey gesagt hat. Aber jetzt schnell… wir müssen zurück… die fangen sicher gleich wieder an mit der Disco…!«
»Panem et circenses!« murmelte Carsten Möbius. »Brot und Spiele! Das Volk ist zufrieden, Zamorra!«
»Was mich betrifft, ist mir jetzt nicht mehr nach Spielen zumute!« sagte Zamorra, der gerade mit wackeligen Beinen vorsichtige Gehversuche machte. »Diese Formel hat mich viel Kraft gekostet. Die Disco läuft ohne mich weiter…«
»Dann versuch es doch mal mit Brot!« empfahl Carsten Möbius. »Wir gehen in meine hiesige Stammpinte. Zu Drago, dem Jugoslawen. Da kann man sich so richtig satt essen… !«
»Essen!« richtete sich Zamorra empor. »Essen ist gut. Aber auch Trinken. Einen anständigen Wein könnte ich jetzt vertragen!«
»Rotwein ist für alte Knaben - doch eine der besten Gaben!« lästerte Michael Ullich.
»Dann doch lieber Bier…!« entschied der Meister des Übersinnlichen.
»Na, denn… wer zuerst da ist…!« rief Michael Ullich und spurtete los.
Schon hatten ihn die Schatten der Ruinen verschluckt.
»Laufen ist gesundheitsschädlich!« zeterte Carsten Möbius, als er vergeblich versuchte, den Freund einzuholen.
»Warte auf mich, Carsten!« rief Nicole und folgte den beiden Freunden. Zamorra war alleine.
Nein, doch nicht! Denn aus der Dunkelheit war ein herzzerreißendes Schluchzen zu hören. Mitleidig trat Professor Zamorra näher.
Regina Stubbe hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Nur ihr Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.
»Er hat seinen Frieden gefunden, Mädchen!« beugte sich Professor Zamorra zu ihr nieder und hob sie sanft auf. »Er hat dem Bösen Widerstand geleistet. Und er hat der Hölle, die ihn in ihren Bann schlagen wollte, besiegt. Aber wer weiß, ob ihm das gelungen wäre, hätte er noch weiter dieses Halbleben als Untoter gelebt. Irgendwann wäre es über ihn gekommen. Ob du oder ein anderer Mensch das erste Opfer gewesen wären, tut nichts zur Sache. Aber in diesem Augenblick wäre er der Hölle verfallen gewesen!«
»Ich… ich habe ihn geliebt! Richtig geliebt… so, wie das immer in Romanen beschrieben wird. Es war keine körperliche Liebe… aber er war ein guter Mensch…!«
»Dann behalte ihn so in Erinnerung!« sagte Professor Zamorra. »Er ist nicht tot… er ist erlöst. Glaube mir, seine Seele hat nun endlich den Frieden gefunden… !«
Regina Stubbe sah ihn an. Tapfer nickte sie, ohne ein Wort zu sagen. Aber auf ihrer Wange lag eine Träne, die im Mondlicht wie ein geschliffener Diamant blitzte.
ENDE
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