0239 - Der Höllenwurm
und blieb dort stehen, wo die Schatten am dunkelsten waren.
Noch sprachen wir sie nicht an, denn wir hofften, daß sie allein zurechtkommen würde. Als sie sich wieder umdrehte, sahen wir ihr Gesicht als einen bleichen Fleck.
»Was ist geschehen?« fragte ich und verließ ebenfalls meinen Platz, um zu ihr zu gehen.
Sie antwortete mir nicht. Fahrig wischte sie über ihr Gesicht, und als ich ihre Schultern mit den Händen umklammerte und sie anschaute, sah ich den Schweiß auf ihrer Stirn.
»Es ist so schlimm«, hauchte sie, »so verflucht schlimm. Wir… wir können nichts tun.«
»Was ist mit dem Eisernen Engel und Izzi?« drängte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was mit dem Engel ist und mit Izzi. Aber beide sind so…« Ihr fehlten einfach die Worte.
»Ist Izzi schon da?«
»Nein, noch nicht.«
»Wann kommt der?«
»Bald, sehr bald.«
Das war eine Antwort, mit der ich nicht viel anfangen konnte. Ich fragte weiter. »Wissen Sie denn, wo er erscheinen wird?«
Sie lauschte meinen Worten nach, als hätte ich sie etwas ungemein Schlimmes gefragt. Dann erwiderte sie: »Ja, ich weiß es. Der Engel hat nicht gelogen. Ich weiß, wo Izzi erscheinen wird. Er kommt tatsächlich in den Bergen aus der Erde heraus.«
»Und wo?« Jetzt zitterte meine Stimme vor Spannung.
»Mont Blanc, am Berg…«
Ich hatte genug gehört. In Frankreich also. Genauer an der französisch-italienischen Grenze, wo sich der höchste Berg Europas befindet. Dort sollte Izzi erscheinen. Nicht in Paris, wie wir alle geglaubt hatten. Nein, er erschien in den Bergen.
Suko hatte mitgehört. Leise sagte er zu mir: »Dann werden wir uns dort mal umsehen müssen.«
Ich nickte, dann wandte ich mich wieder an die Wahrsagerin. »Woher wissen Sie es, Tanith? Wer hat Ihnen dies gesagt, daß Izzi gerade dort erscheinen wird?«
»Ich hatte…« Sie holte erst einmal tief Atem. »Ich hatte einen Kontakt, aber nicht mit Izzi selbst, sondern mit dem Eisernen Engel. Wir konnten uns nur auf geistiger Ebene unterhalten, und er hat mir die Informationen gegeben.«
»Aber keine Zeit gesagt?«
»Nein, keine Zeit. Ich weiß nur, daß wir uns beeilen müssen. Er hat lange genug gewartet, nun kann er nicht mehr zurück.«
»Was ist mit den anderen?« hakte ich nach. »Mit Belphégor oder der Mordliga?«
»Mordliga?« wiederholte sie.
Sie wußte nichts von der Mordliga, deshalb sagte ich: »Lassen wir das. Aber die Sache mit Izzi ist sicher. Er wird in den französischen Alpen zurückkehren, am Mont Blanc.«
»Ja.«
Eine schlichte Antwort, deren Tragweite dieses eine Wort überhaupt nicht erfassen konnte. Ich drehte mich zu Suko um, der mir zunickte. Ich kannte meinen Partner lange genug, um zu wissen, daß ihm die Zeit unter den Nägeln brannte und ihn nichts mehr in Paris hielt. Er wollte in die Berge. Und zwar sofort.
»Okay denn«, sagte ich. »Lassen wir Paris sausen, die Berge sollen ja auch ihren Reiz haben.«
Als ich mich abwandte, griff die Frau nach meinem Arm. »John«, sprach sie im beschwörenden Tonfall. »John, ihr müßt vorsichtig sein. Mit diesem Dämon ist nicht zu spaßen.«
Das wußten wir – aber mit uns auch nicht!
***
Eine kristallklare Nacht!
Eine Nacht für Enthusiasten, so herrlich, so klar, so kalt. Mit einer reinen Luft, die man schmecken konnte und die wie dünnes Eis über den Bergen zu liegen schien. Es war zwar dunkel, dennoch gab es Licht. Da glänzten die Gletscher wie frisch poliert. Sie schimmerten in einem sonst nie gesehenen Blau. Der Schnee war längst zu Eis erstarrt und bildete lange, tückische Flächen, die sich manchmal bis hinein in die hochgelegenen Täler zogen und dort in Steinlawinen mündeten. Nacht in den Bergen!
Längst war der erste Schnee gefallen, wieder weggetaut, und es war eine neue weiße Schicht gekommen. Noch atmete die Landschaft eine nahezu paradiesische Ruhe aus, denn die Wintersaison hatte noch nicht begonnen, aber es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sich die Skifahrer auf den langgezogenen Pisten tummeln.
Sternklar leuchtete der Himmel. War seine Farbe in den Städten noch schmutzig zu nennen, so spannte er sich hier wie ein gewaltiger, faltenloser, samtblauer Teppich über das Gebirge. An eine dicke, aufgeblasene Banane erinnerte der Mond, umrahmt von zahlreichen Sternen, die ein funkelndes Licht abgaben, das von der blanken Gletscherfläche zurückgeworfen wurde und dieses seltsame helle Strahlen verursachte.
In der Eisregion war die Temperatur sehr
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