024 - Die Rattenkönigin
sich um ein Liebespärchen gehandelt, das in der Nacht hierher gefahren war und von den Ratten überfallen wurde.
»Halt dich fest, Wichtel!« rief Cohen, dessen Gesicht immer noch wächsern war. »Wir fahren gleich über lebenden Untergrund.«
Chapman sah, wie der Wagen auf die wogende Masse von Rattenkörpern steuerte – und dann rollten die Räder über die Ratten hinweg. Das krachende Geräusch splitternder Knochen vermischte sich mit den durch Mark und Bein gehenden Todesschreien, Ratten sprangen auf den Wagen hoch und fielen wieder herab.
Cohen erreichte die Windmühle und fuhr so an den Eingang heran, daß zwischen ihm und der Beifahrertür nur ein freier Raum von einem Meter lag. Er betätigte die Hupe. Das schien die Ratten nur weiter aufzustacheln. Ihre Attacken wurden immer heftiger.
»Wenn es ihnen gelingt, eines der Fenster einzuschlagen, dann gute Nacht«, sagte Chapman.
»Warum gibt die Alte kein Lebenszeichen von sich?« schimpfte Cohen, während er unablässig die Hupe niederdrückte. »Verdammte Närrin! Ich muß nach ihr sehen.«
»Bist du wahnsinnig? Du kannst mich doch hier nicht allein lassen. Die Ratten werden dich in Stücke reißen.«
Aber Cohen lachte nur und wechselte auf den Beifahrersitz über. Er spannte seine Muskeln an, stieß die Tür auf, sprang hinaus, schlug die Tür hinter sich wieder zu und erstürmte den Eingang der Mühle.
Chapman befürchtete schon, daß die Tür aus massivem Holz abgesperrt sein könnte, aber dann sah er, wie sie unter Cohens Körpergewicht nachgab und hinter ihm sofort wieder ins Schloß fiel. Doch wenn die Ratten die Mühle bereits erobert hatten? Dann war Cohen verloren – und er selbst ebenfalls. Er war nicht in der Lage, den Wagen zu steuern.
Plötzlich sackte der Wagen vorn ein. Chapman erinnerte sich an den Lastwagen und befürchtete, die Ratten könnten auch hier das Gelände unterhöhlt haben, doch da sackte der Wagen auch auf der linken hinteren Seite ein – diesmal mit einem Knall –, und Chapman wußte, daß die Ratten die Reifen zerbissen hatten. Das war schlimm genug, aber immer noch besser, als wenn der Wagen im Boden einsinken würde.
Wo blieb denn nur Cohen? Man konnte über ihn sagen, was man wollte, aber ein Feigling war er nicht. Chapman stand Todesängste aus, während die Ratten mit ihren Körpern immer wieder gegen die Scheiben knallten. Sie waren auf den Kofferraumdeckel geklettert, rannten gegen die Windschutzscheibe an und rissen die Scheibenwischer ab. Ihre Pfoten trommelten auf das Wagendach. Sie glotzten Chapman durch die Heckscheibe an. Er begann am ganzen Körper zu zittern. Der Tod war so nahe.
Endlich ging die Eingangstür der Mühle auf. Cohen erschien darin. Er zog hinter sich die heftig um sich schlagende Arline her. Chapman hielt den Atem an, als Cohen die Beifahrertür öffnete und Arline hineinstieß. Sie schrie auf.
Cohen kam um den Wagen herum. Er schlug um sich und schoß wie ein Verrückter mit der Pistole in die Luft. Was Chapman nie für möglich gehalten hätte, trat ein: Die Schüsse schienen die Ratten einzuschüchtern. Jedenfalls erreichte Cohen unversehrt die Fahrertür, riß sie auf und sprang herein. Er hatte den Motor laufen lassen, so daß er sofort abfahren konnte.
»Alle vier Reifen sind platt«, erklärte Chapman.
»Wir schaffen es schon«, sagte Cohen zuversichtlich.
Der Wagen rollte auf den Felgen über die Ratten hinweg. Wieder diese schauerlichen Geräusche krachender Knochen und die Todesschreie. Cohen wandte sich an die steif dasitzende Arline. Ihr Mund war verkniffen, als schmollte sie.
»Durch Ihre Sturheit hätten wir alle draufgehen können«, schimpfte er. »Warum sind Sie denn nicht herausgekommen, als Sie die Hupzeichen hörten?«
»Ich habe Sie nicht gebeten, mir zu helfen.«
»Bilden Sie sich nur nichts ein! Uns geht es nicht um Ihre Person, sondern um Ihr Wissen. Meinetwegen könnten die Ratten Sie mit Haut und Haaren auffressen.«
Sie wandte ihm den Kopf zu, und ihr lippenloser Mund verzerrte sich zu einem grotesken Lächeln. »Ich sagte Ihnen schon, daß ich die Ratten nicht fürchte. Mir hätten sie nichts getan.«
»Ach, dann sind die Biester wohl nur hier, um Ihnen einen Höflichkeitsbesuch abzustatten?«
Arline schwieg.
Sie erreichten die ersten Häuser von Borvedam, ließen den Wagen stehen und nahmen ein Taxi. Chapman kauerte sich in der Tasche von Cohens Jackett zusammen.
Als Cohen einen Blick zurück auf den verbeulten VW warf, meinte er grinsend:
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