024 - Die Rattenkönigin
Liste. Sie ging sie noch einmal durch und fand, daß sie nichts vergessen hatte. Bevor sie sich jedoch auf den Weg machte, rief sie bei Anselm van Riems an.
Eine Frauenstimme meldete sich, wahrscheinlich Julie. Von ihr erfuhr Coco, nachdem sie sich als Krankenschwester des Wilhelmina-Krankenhauses ausgegeben hatte, daß Anselm vom Arzt eine Beruhigungsspritze bekommen hatte und schlief. Nein, sein Zustand sei nicht ernst. Er habe nur einen schweren Schock erlitten, fantasiere und rede konfuses Zeug, dürfte aber in häuslicher Pflege bleiben. Der Arzt habe alle weiteren Verhöre durch die Polizei strikt untersagt. Zwei Beamte seien vor dem Haus postiert.
Coco beendete das Gespräch einigermaßen beruhigt. Sie wollte gerade das Haus verlassen, als sie aus dem Keller Geräusche hörte. Sie ging hin, öffnete die Tür, schlug sie aber sofort wieder zu. Obwohl sie sich nicht denken konnte, wie es Ratten möglich sein sollte, eine Tür zu öffnen, sperrte sie dennoch ab.
Begann die Invasion der Ratten bereits? Schickte Jenny ihre Horden aus, um sie an den Menschen von Borvedam furchtbare Rache nehmen zu lassen?
Als Coco auf die Straße kam, bot sich ihr ein alltägliches Bild. Zwei Häuserblocks weiter spielten einige Vorschulkinder, Hausfrauen gingen einkaufen. Mitten auf der Straße lag der Kadaver einer Ratte. Ein Auto hatte sie überfahren.
Coco startete den Wagen. Der Supermarkt war nur einige Straßen entfernt. Sie hatte keine große Eile, sondern fuhr langsam, um sich umsehen zu können. Ihr sechster Sinn verriet ihr, daß etwas in der Luft lag. Es konnte aber auch sein, daß sie sich alles nur einbildete; nur zu gut wußte sie, wie überreizt sie war.
Sie bog in eine Geschäftsstraße ein und kam an einem kleinen Park vorbei. Pensionäre saßen an Tischen und spielten Karten und Schach. Es war ein ungewöhnlich warmer Novembertag. Eine Frau mit einem Kinderwagen kam aus dem Park.
Plötzlich tauchte ein Rudel Ratten aus einem Gebüsch auf. Einige der Ratten sprangen die Frau an, die anderen fielen über den Kinderwagen her. Die Frau begann zu schreien.
Coco trat abrupt auf die Bremse, stürzte aus dem Wagen und rannte in den Park. Die Frau war von den Ratten zu Boden gerissen worden. Coco kümmerte sich zuerst um den Kinderwagen, in dem das hilflose Kleinkind herzzerreißend schrie. Sie sah entsetzt, daß fünf Ratten über das Kind hergefallen waren, ihm aber noch nichts getan hatten; sie zerrten zwar an ihm, aber es schien eher, daß sie es aus dem Kinderwagen holen wollten.
Sie wollen das Kind entführen , durchzuckte es Coco.
Sie packte die Ratten und schleuderte sie weit von sich. Dann wandte sie sich der Frau zu. Inzwischen waren andere Leute herbeigeeilt und hatten die Ratten mit Taschen, Schirmen und Stöcken in die Flucht geschlagen. Die überfallene Frau schien unverletzt.
»Am besten, Sie gehen mit Ihrem Kind nach Hause«, riet Coco ihr und stieg wieder in den Wagen. Mehr konnte sie nicht für die Frau tun.
Auf dem weiteren Weg wurde Coco Zeuge eines weiteren Zwischenfalls mit Ratten. In einem Laden versuchte ein Metzger eines Rattenrudels Herr zu werden, das über sein Fleisch hergefallen war. Er rückte ihnen mit einem unterarmlangen Messer zu Leibe.
Coco stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Supermarkts ab, holte sich einen Einkaufswagen und steuerte auf den Eingang zu. Gerade als sie das Gebäude betreten wollte, brach dort eine wilde Panik aus. Kunden stürmten dem Ausgang zu. Coco wäre von ihnen beinahe umgerannt worden. Sie sah eine Frau an sich vorbeilaufen, aus deren Mantelkragen das Hinterteil einer Ratte ragte. Auch Angestellte kamen herausgestürzt. Ihre weißen Mäntel hingen ihnen in Fetzen vom Körper, waren blutverschmiert.
Eine Frau mit einer schräg sitzenden Perücke schrie immer wieder: »Ich kann nichts sehen! Ich bin blind!« Ihre Augenhöhlen waren blutig. Sie rannte gegen einen Turm aus Konservendosen, der einstürzte. Die Frau wurde unter den Konservendosen begraben.
Coco überlegte nicht lange und lief zu der Frau, um ihr beizustehen. Sie schrie hysterisch, als Coco sie am Arm packte und hochzog. Coco versuchte, sie zu beruhigen, aber das war unmöglich. Wenn sie nicht blind gewesen wäre, hätte Coco sie hypnotisieren können, aber es gelang ihr wenigstens, sie trotz heftigsten Widerstands ins Freie zu bringen.
Es mußten Hunderte oder gar Tausende von Ratten sein, die den Supermarkt im Sturm erobert hatten. Nun, nachdem sie keine Opfer mehr fanden, begannen
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