024 - Die Rattenkönigin
»Da wird sich die Leihwagenfirma aber freuen.«
Dorian Hunter hatte dem Kommissar wider besseres Wissen die volle Wahrheit erzählt, denn er erachtete es für nötig, die Behörden auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Rejnbrink hatte ihn ausreden lassen. Jetzt war er am Zug.
»Nein, das nehme ich Ihnen nicht ab, Mr. Hunter!« rief er, während er in seinem Büro wild gestikulierend auf und ab ging. »Diesen Bären können Sie mir nicht aufbinden. Ein von Ratten aufgezogenes Mädchen, das zu ihrer Königin wurde! Was für ein blühender Unsinn! Aber damit begnügen Sie sich ja noch nicht einmal. Die Rattenkönigin hat sich auch noch in einen Mann verliebt. Und weil dieser von ihr nichts wissen will, wird sie aus gekränkter Eitelkeit die Ratten von Borvedam auf die Menschheit loslassen. Was denken Sie sich eigentlich dabei, mir solch einen Humbug aufzutischen?«
»Seien Sie doch nicht so vernagelt, Kommissar!« begann Dorian, aber Rejnbrink unterbrach ihn.
»Mir ist in meiner Laufbahn schon eine Menge vorgekommen. Jeden Tag bekomme ich Hinweise von Verrückten und alten Weibern über Invasoren vom Mars, lästige Poltergeister und dergleichen mehr. Aber Sie übertreffen alle alten Weiber. Bei Ihrer Fantasie sollten Sie besser Vampir-Romane verfassen, Sie – Sie Rattenfänger.«
»Ich habe selbst schon daran gedacht, meine Memoiren zu schreiben«, entgegnete Dorian.
»Warum stehlen Sie mir eigentlich meine kostbare Zeit, Mr. Hunter? Ich habe eine Serie grauenhafter Morde aufzuklären …«
»Die hängen doch damit zusammen!« Als er Rejnbrinks zweifelnden Blick sah, lenkte er ein: »Na schön, Sie ungläubiger Thomas. Lassen Sie einmal alles weg, was Ihnen nicht in den Kram paßt. Nehmen wir an, es gibt keine Ratten-Jenny und auch nicht die von mir genannte Motivation für die Morde. Dann bleibt nur noch die Rattengefahr. Und davor will ich Sie warnen. Ich will nur, daß Sie Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung treffen. Wenn die ersten Opfer zu beklagen sind, ist es zu spät.«
»Und was müßte ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Fordern Sie Truppen an, jede Menge Flugzeuge und Hubschrauber, um die Bevölkerung notfalls evakuieren zu können – und vor allem etliche Tonnen Rattengift!«
»Aha! Und mit welcher Begründung soll ich das alles anfordern? Ich bin doch nicht der liebe Gott, sondern nur ein kleiner Angestellter. Ich muß Rechenschaft ablegen für alles, was ich tue. Soll ich einfach den Minister anrufen und ihm sagen, hören Sie mal, unsere Ratten-Jenny hat Liebeskummer, wer weiß ob sie nicht durchdreht, sie ist nämlich ein labiles Gör …« Noch während er sprach, begann das Telefon zu läuten. Er nahm den Hörer ab, meldete sich und lauschte dann. Nur einmal sagte er: »Ja, ja, ich bin noch am Apparat. Sprechen Sie weiter!« Dann vergingen etliche Minuten, in denen er dem Bericht des Anrufers zuhörte, bis er abschließend bat: »Ich möchte über alle ähnlichen Vorfälle auf dem laufenden gehalten werden.« Er legte den Telefonhörer auf.
»Was war?« fragte Dorian, obwohl er es ahnte.
»Es hat einige Zwischenfälle mit Ratten gegeben«, sagte Rejnbrink tonlos. »Feuerwehr und Rettung sind im Dauereinsatz. Eine Schule wurde von Hunderten von Ratten überfallen. Einige Kinder wurden verletzt, bevor sie sich ins Obergeschoß retten konnten. Sie mußten über Feuerwehrleitern geborgen werden.«
»Glauben Sie mir jetzt?«
»Das über Ratten-Jenny?« fragte Rejnbrink spöttisch, doch als Dorian aufbrausen wollte, sagte er begütigend: »Nun werden Sie nicht gleich wild. Ich nehme Ihre Warnung jetzt ernst und könnte mir sogar vorstellen, daß die Ratten zu einer noch größeren Plage werden. Wenn es in meiner Macht läge, würde ich nicht zögern, den Notstand auszurufen, aber so einfach geht das nicht. Ich werde jedoch alle Hebel in Bewegung setzen.«
»Falls Sie auf meine Hilfe Wert legen – ich stehe zu Ihrer Verfügung«, bot sich Dorian an.
»Und ob ich darauf Wert lege«, sagte Rejnbrink. »Wenn es nur halb so schlimm kommt, wie Sie prophezeien, benötigen wir jeden einzelnen Mann. Und besonders einen so erfahrenen Rattenfänger wie Sie, Mr. Hunter.«
»Nicht Rattenfänger – Dämonenkiller trifft besser zu«, berichtigte Dorian.
Beide lächelten, wenn auch jeder aus einem anderen Grund.
Auf dem Rückweg kam Coco zufällig durch die Buiksloterstraat und beschloß, bei van Riems vorbeizuschauen. Die beiden Polizisten am Tor wollten sie jedoch nicht ins Haus lassen.
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