0243 - Die Schädelkette
allerdings ein Hindernis. Van Dyck erinnerte sich daran, daß er diese Frau unbedingt hatte in seinen Besitz bringen wollen. Jetzt stand sie vor ihm.
Wehrlos…
Er würde sie bekommen.
Noch zwei Schritte, dann hatte er sie erreicht. Der widerliche Schakalschädel ruckte vor, aus dem offenen Maul strich eine Zunge und klatschte gegen den Hals des Mädchens.
Wie unter einem Peitschenschlag zuckte Kay zusammen. Der starre Ausdruck auf ihrem Gesicht wich einem plötzlichen Begreifen, sie wußte, in welcher Gefahr sie schwebte.
Fast streichelte sie die gefährliche Löwenpranke, als sie gegen die Schulter des Mädchens tippte und auf ihrer Uniformjacke noch kleine Blutflecken hinterließ.
Bei dieser Berührung drehte Kay durch.
Bevor der andere sich versah, warf sie sich auf dem Absatz herum und floh in Richtung Tür.
Sie hatte das Monstrum überrascht.
Van Dyck reagierte erst, als Kay Windsor die schwere Eingangstür bereits aufriß, über die Schwelle sprang und förmlich die Stufen der Treppe nach unten stürzte.
Dann aber hielt van Dyck nichts mehr. Er mußte das Mädchen kriegen, und für Kay begann der Wettlauf mit dem Tod…
***
Was mir nur selten passierte, geschah in diesen Augenblicken. Ich würgte den Motor des Bentleys ab.
Er blubberte noch ein wenig nach, dann war es still.
Und vor uns hockte der Löwe.
Ein Löwenmann, ein prächtiges Tier, mit einer gewaltigen Mähne, gelbbraun das Fell, unter dem starke Muskeln spielten, die auf uns schon erschreckend wirkten.
Aber wieso kam der Löwe frei? Im Herbst und im Winter befanden sich die Tiere in ihren Käfigen, da mußte etwas passiert sein.
Ob es mit van Dyck zusammenhing?
Suko hatte sich als erster gefaßt. Er meinte: »Hoffentlich hat der Knabe schon gespeist.«
»Einen Nachtisch kann er sicherlich noch verkraften.«
»Aber nicht uns. Hast du keine Schwiegermutter, John?«
»Leider nein.«
Der Löwe gähnte. Er riß dabei sein Maul weit auf und schüttelte noch die Mähne.
Suko und ich schauten uns an. »Hast du in den Rachen gesehen?« fragte ich meinen Partner, wobei meine Stimme ein wenig belegt klang.
»Leider.«
»Da passen zwei von uns rein.«
»Nun übertreibe mal nicht. Du bist zu dick.« Suko kniff die Augen ein wenig zusammen. »Also, ich würde vorschlagen, daß wir vorsichtig los und an ihm vorbeifahren. Aber nur langsam…«
»Mal sehen.« Meine Hand hatte bereits den Zündschlüssel berührt, als Suko sein »Halt!« rief.
Ich zögerte, schielte ihn an und sah, daß er sich halb auf dem linken Sitz gedreht hatte. »Was ist denn?«
»Schau mal zurück!«
Das tat ich auch. Hinter uns stand ein zweites Tier. Diesmal eine Löwin.
Sie hatte sich aufgerichtet und die beiden vorderen Pfoten auf die Kofferraumhaube des Bentleys gelegt. Durch die Heckscheibe schaute sie interessiert in den Wagen und leckte sich mit ihrer langen Zunge die Lippen.
Sekundenlang blieben wir unbeweglich sitzen. Wir wagten kaum zu atmen und hörten beide das dumpfe Fauchen, das die Löwin hinter uns ausstieß.
Eine Gänsehaut rann über unsere Rücken. So schön das Tier auch war, auf der Couch wollte ich es nicht haben und auch nicht auf dem Kofferraum meines Wagens.
Der Löwin schien es dort zu gefallen, denn sie traf überhaupt keine Anstalten, ihren Platz zu verlassen, ebenso wie der Löwe vor uns, der weiterhin auf dem Weg hockte und sich nicht rührte.
Wir befanden uns in einer Zange.
»Ich fahre trotzdem«, sagte ich und wollte wieder starten, als sich der Löwe vor uns aufrichtete. Beinahe träge vollzog er diese Bewegung, stellte sich auf seine Beine, gähnte noch einmal und spannte seine gewaltigen Muskeln, bevor er sich gemächlich in Bewegung setzte und direkt auf unseren Wagen zuschritt.
Jeden Schritt konnten wir verfolgen. Er bewegte sich zwar träge, aber dennoch geschmeidig, und es vergingen nur Sekunden, bevor er den Kühlergrill des Bentleys erreichte.
Überfahren konnte ich ihn nicht. Ich hatte den Zeitpunkt einer günstigen Abfahrt verpaßt.
Der Kühlergrill schien ihn sehr zu interessieren, denn er schnupperte an ihm herum, kratzte mal ganz leicht und richtete sich dann auf. Zuerst schaute er mit dem Kopf darüber hinweg, bevor er sich abstieß und im nächsten Moment auf die Kühlerschnauze sprang.
Das hatte uns gerade noch gefehlt. Jetzt saß vorn ein Löwe und hinten seine Frau.
Der Wagen sackte tiefer, denn die beiden Tiere hatten zusammen ein ganz schönes Gewicht.
Uns trat der Schweiß aus den Poren. Selten
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