0244 - Stahlschmuck für den Massenmörder
machen.«
»Ich weiß.« Barbara lächelte glücklich.
Broderick Wilson war Redakteur der New York Herald Tribune. Er galt mit seinen achtunddreißig Jahren als Star unter den Journalisten, und hatte vor knapp vier Monaten geheiratet. Fünfzehn Jahre lang hatte er nur für seine Karriere gelebt. Unter den heiratsfähigen jungen Damen der New Yorker High Society war Wilson als Junggeselle Nr. 1 eingestuft worden. Die Töchter der Industrie-Kapitäne und Manager hatten es als sicher angenommen, dass Wilson sich eines Tages zu einer guten Partie entschließen würde. Doch nichts dergleichen.
Wilson hatte ein junges, unbekanntes Mädchen geheiratet, das weder Geld noch Beziehungen besaß. Eine Liebesheirat, eine Märchenhochzeit.
Das Glück schien vollkommen, wenn nicht - ja, wenn der Journalist nicht von jenem Gerechtigkeitsgefühl besessen gewesen wäre, das ihn schließlich veranlasste, seinen Eid als Geschworener des New Yorker Schwurgerichts abzulegen, von dem Tonio Pestanazo verurteilt wurde.
Wie jedem der Geschworenen, war auch Wilson von Giuseppe Pestanazo mit dem Tod gedroht worden. Wie jedem Geschworenen war auch Wilson ein uniformierter Polizist der New Yorker Stadtpolizei als Schutz beigegeben. Nach dem Mord an Chat Flynn hatte man diesen Schutz verstärkt. Nachts war ein Polizist vor dem Haus der Familie Wilson in der Park Row postiert. Ein zweiter Beamter schlief auf einem Feldbett in der Diele der geräumigen Fünf-Zimmer-Wohnung, die die Wilsons bewohnten.
Es war genau 14 Uhr, als der Cop vor dem Haus die Hand grüßend an seine Mütze legte und den Journalisten mit den Worten empfing: »Wollen wir wieder zu Fuß gehen, oder sollen wir ein Taxi nehmen?«
»Gehen wir zu Fuß, die Sonne scheint so schön«, sagte Wilson freundlich, bot dem Uniformierten eine Zigarette an, die dieser dankend ablehnte und schlenderte dann mit seinem Beschützer die Straße entlang.
Es war ebenfalls genau 14 Uhr auf der Uhr eines pockennarbigen Mannes, der das Fenster eines am Chatham Square gelegenen Hauses auf stieß und in Richtung Park Row blickte. Nach etwa einer Minute intensiven Spähens trat der Mann vom Fenster zurück, zog die leichte Gardine vor und blickte durch einen schmalen Spalt dicht am Fensterrahmen.
Das Fenster lag im dritten Stock des roten Backsteinhauses.
Broderick Wilson und sein uniformierter Begleiter waren noch knapp hundert Yards von dem Gebäude entfernt.
Genau gegenüber dem roten Gebäude war ein Taxi-Stand, wo im Augenblick 12 Yellow Cabs parkten.
»Bis zur Redaktion ist es doch etwas weit. Sollten wir nicht lieber ein Taxi nehmen?« Wilson fragte seinen Begleiter halb in Gedanken. Wilson stellte diese Frage ganz nebenbei. Er stellte sie mehr sich selbst als dem Cop. Und doch war es die Frage, die über Leben und Tod entschied.
»Wie Sie wünschen, Sir. Ich richte mich ganz nach Ihnen. Ich bin das Laufen gewöhnt.«
Wilson sah auf seine Uhr.
»Knapp zwei Minuten, die wir jetzt unterwegs sind. Und schon sehnen sich meine müden Knochen nach einem fahrbaren Untersatz. Höchste Zeit, dass ich wieder etwas tue um in Form zu kommen. Ein Spaziergang hat noch niemandem geschadet. Okay! Wir laufen.«
Sie waren wortlos weitergegangen.
Das Wetter schien wie geschaffen zum Müßiggang. Bywater kam es vor, als sei der Pulsschlag der Riesenstadt nicht so heftig wie an anderen Tagen. Die Passanten hasteten nicht so schnell, der Straßenverkehr auf den breiten Straßen floss träger.
Jedermann schien heute Zeit zu haben. Jedermann - auch der Mann mit den Pockennarben im Gesicht war ohne Hast. Bedächtig prüfte er die Waffe in seiner Hand. Ein Gewehr mit Zielfernrohr. Ein Gewehr, auf dessen Mündung ein langer Schalldämpfer montiert war.
Der Pockennarbige schob die Gardine eine Handbreit zur Seite, zog das Gewehr an die Wange, schob den Lauf der Waffe wenige Zentimeter an der Gardine vorbei, schloss das linke Auge und starrte mit dem rechten durch das Zielfernrohr. Im Fadenkreuz erschien Broderick Wilson.
Der Pockennarbige visierte genau. Er zielte sekundenlang. Dann nahm er vorsichtig den Druckpunkt und zog durch. Das Geräusch, das der Schuss verursachte, war kaum vernehmbar.
Der Pockennarbige zog die Waffe zurück, stellte sie in eine Ecke des Raumes, warf noch einen kurzen Blick durch das Fenster, grinste zufrieden, streifte die dünnen Lederhandschuhe von den Händen und verließ das Zimmer.
Mehr als ein Dutzend Menschen sahen ihn gehen. Mehr als ein Dutzend Menschen hatten ihn
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